als ich in der Nacht nicht schlafen konnte, und in der Angst bei dem Getümmel von Herzen betete, da öffnete sich plötzlich meine Thür, und herein trat meine Gespielin, um Abschied von mir zu nehmen. Sie hatte eine Reisetasche um, einen Hut auf ihren Kopf, und einen großen Wander- stab in der Hand. Sie war sehr böse auf dich, weil sie deinetwegen nun die größten und schmerz- haftesten Strafen aushalten müsse, da sie dich doch immer so geliebt habe; denn alle, so wie sie sagte, verließen nur sehr ungern diese Gegend.
Marie verbot ihr, davon zu sprechen, und indem kam auch der Fährmann vom Strome her- über, welcher Wunderdinge erzählte. Mit einbre- chender Nacht war ein großer fremder Mann zu ihm gekommen, welcher ihm bis zu Sonnen - Auf- gang die Fähre abgemiethet habe, doch mit dem Bedingniß, daß er sich still zu Hause halten und schlafen, wenigstens nicht aus der Thür treten solle. Ich fürchtete mich, fuhr der Alte fort, aber der seltsame Handel ließ mich nicht schlafen. Sacht schlich ich mich ans Fenster und schaute nach dem Strome. Große Wolken trieben unruhig durch den Himmel und die fernen Wälder rauschten bange; es war als wenn meine Hütte bebte und Klagen und Winseln um das Haus schlich. Da sah ich plötzlich ein weißströmendes Licht, das breiter und immer breiter wurde, wie viele tausend nieder ge- fallene Sterne, funkelnd und wogend bewegte es sich von dem finstern Tannengrunde her, zog über das Feld, und verbreitete sich nach dem Flusse hin.
Erſte Abtheilung.
als ich in der Nacht nicht ſchlafen konnte, und in der Angſt bei dem Getuͤmmel von Herzen betete, da oͤffnete ſich ploͤtzlich meine Thuͤr, und herein trat meine Geſpielin, um Abſchied von mir zu nehmen. Sie hatte eine Reiſetaſche um, einen Hut auf ihren Kopf, und einen großen Wander- ſtab in der Hand. Sie war ſehr boͤſe auf dich, weil ſie deinetwegen nun die groͤßten und ſchmerz- hafteſten Strafen aushalten muͤſſe, da ſie dich doch immer ſo geliebt habe; denn alle, ſo wie ſie ſagte, verließen nur ſehr ungern dieſe Gegend.
Marie verbot ihr, davon zu ſprechen, und indem kam auch der Faͤhrmann vom Strome her- uͤber, welcher Wunderdinge erzaͤhlte. Mit einbre- chender Nacht war ein großer fremder Mann zu ihm gekommen, welcher ihm bis zu Sonnen - Auf- gang die Faͤhre abgemiethet habe, doch mit dem Bedingniß, daß er ſich ſtill zu Hauſe halten und ſchlafen, wenigſtens nicht aus der Thuͤr treten ſolle. Ich fuͤrchtete mich, fuhr der Alte fort, aber der ſeltſame Handel ließ mich nicht ſchlafen. Sacht ſchlich ich mich ans Fenſter und ſchaute nach dem Strome. Große Wolken trieben unruhig durch den Himmel und die fernen Waͤlder rauſchten bange; es war als wenn meine Huͤtte bebte und Klagen und Winſeln um das Haus ſchlich. Da ſah ich ploͤtzlich ein weißſtroͤmendes Licht, das breiter und immer breiter wurde, wie viele tauſend nieder ge- fallene Sterne, funkelnd und wogend bewegte es ſich von dem finſtern Tannengrunde her, zog uͤber das Feld, und verbreitete ſich nach dem Fluſſe hin.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0439"n="428"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Erſte Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
als ich in der Nacht nicht ſchlafen konnte, und in<lb/>
der Angſt bei dem Getuͤmmel von Herzen betete,<lb/>
da oͤffnete ſich ploͤtzlich meine Thuͤr, und herein<lb/>
trat meine Geſpielin, um Abſchied von mir zu<lb/>
nehmen. Sie hatte eine Reiſetaſche um, einen<lb/>
Hut auf ihren Kopf, und einen großen Wander-<lb/>ſtab in der Hand. Sie war ſehr boͤſe auf dich,<lb/>
weil ſie deinetwegen nun die groͤßten und ſchmerz-<lb/>
hafteſten Strafen aushalten muͤſſe, da ſie dich doch<lb/>
immer ſo geliebt habe; denn alle, ſo wie ſie ſagte,<lb/>
verließen nur ſehr ungern dieſe Gegend.</p><lb/><p>Marie verbot ihr, davon zu ſprechen, und<lb/>
indem kam auch der Faͤhrmann vom Strome her-<lb/>
uͤber, welcher Wunderdinge erzaͤhlte. Mit einbre-<lb/>
chender Nacht war ein großer fremder Mann zu<lb/>
ihm gekommen, welcher ihm bis zu Sonnen - Auf-<lb/>
gang die Faͤhre abgemiethet habe, doch mit dem<lb/>
Bedingniß, daß er ſich ſtill zu Hauſe halten und<lb/>ſchlafen, wenigſtens nicht aus der Thuͤr treten<lb/>ſolle. Ich fuͤrchtete mich, fuhr der Alte fort, aber<lb/>
der ſeltſame Handel ließ mich nicht ſchlafen. Sacht<lb/>ſchlich ich mich ans Fenſter und ſchaute nach dem<lb/>
Strome. Große Wolken trieben unruhig durch den<lb/>
Himmel und die fernen Waͤlder rauſchten bange;<lb/>
es war als wenn meine Huͤtte bebte und Klagen<lb/>
und Winſeln um das Haus ſchlich. Da ſah ich<lb/>
ploͤtzlich ein weißſtroͤmendes Licht, das breiter und<lb/>
immer breiter wurde, wie viele tauſend nieder ge-<lb/>
fallene Sterne, funkelnd und wogend bewegte es<lb/>ſich von dem finſtern Tannengrunde her, zog uͤber<lb/>
das Feld, und verbreitete ſich nach dem Fluſſe hin.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[428/0439]
Erſte Abtheilung.
als ich in der Nacht nicht ſchlafen konnte, und in
der Angſt bei dem Getuͤmmel von Herzen betete,
da oͤffnete ſich ploͤtzlich meine Thuͤr, und herein
trat meine Geſpielin, um Abſchied von mir zu
nehmen. Sie hatte eine Reiſetaſche um, einen
Hut auf ihren Kopf, und einen großen Wander-
ſtab in der Hand. Sie war ſehr boͤſe auf dich,
weil ſie deinetwegen nun die groͤßten und ſchmerz-
hafteſten Strafen aushalten muͤſſe, da ſie dich doch
immer ſo geliebt habe; denn alle, ſo wie ſie ſagte,
verließen nur ſehr ungern dieſe Gegend.
Marie verbot ihr, davon zu ſprechen, und
indem kam auch der Faͤhrmann vom Strome her-
uͤber, welcher Wunderdinge erzaͤhlte. Mit einbre-
chender Nacht war ein großer fremder Mann zu
ihm gekommen, welcher ihm bis zu Sonnen - Auf-
gang die Faͤhre abgemiethet habe, doch mit dem
Bedingniß, daß er ſich ſtill zu Hauſe halten und
ſchlafen, wenigſtens nicht aus der Thuͤr treten
ſolle. Ich fuͤrchtete mich, fuhr der Alte fort, aber
der ſeltſame Handel ließ mich nicht ſchlafen. Sacht
ſchlich ich mich ans Fenſter und ſchaute nach dem
Strome. Große Wolken trieben unruhig durch den
Himmel und die fernen Waͤlder rauſchten bange;
es war als wenn meine Huͤtte bebte und Klagen
und Winſeln um das Haus ſchlich. Da ſah ich
ploͤtzlich ein weißſtroͤmendes Licht, das breiter und
immer breiter wurde, wie viele tauſend nieder ge-
fallene Sterne, funkelnd und wogend bewegte es
ſich von dem finſtern Tannengrunde her, zog uͤber
das Feld, und verbreitete ſich nach dem Fluſſe hin.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/439>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.