Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Erste Abtheilung.
gewesen sey, der sie so nach einem Manuskript
aus dem zwölften Jahrhundert umgearbeitet habe.
Die Erzählung ist so schön und einfach, daß die
Sache an sich selbst nicht unwahrscheinlich ist.

Manfred schlug ein lautes Gelächter auf,
und sagte nach einiger Zeit: O vortreflich! Die
Autoren, die uns den Oktavian und die Hey-
monskinder in ihrer alten treuherzigen Gestalt
gaben, waren gewiß auch keine Stümper, und
wer weiß, ob nicht einst entdeckt wird, daß un-
ser Eulenspiegel nichts als eine Umwandlung des
berühmten verlohrenen Margites ist. Wie recht
hat Wilhelm Schlegel, wenn er einmal sagt:
die gebildeten Stände in Deutschland haben noch
keine Literatur, aber der Bauer hat sie. Denn
wohl sind in diesen unscheinbaren schlecht ge-
druckten Schriften fast alle Elemente der Poesie,
vom Heroischen bis zum Zärtlichen und hinab
zum kräftig Komischen, ausgesprochen. Ich muß
hier auf meine Verwunderung zurück kommen:
was meinen nehmlich nur die Herren, die mit
fanatischer Vernünftigkeit und Mangel alles poe-
tischen Sinnes diese Bücher verfolgen, sie dem
Bauer nehmen und Strafen auf ihre Verbrei-
tung setzen? Wenn ich nicht irre, war vor eini-
gen und dreißig Jahren, der gute alte Büsching
der erste, welcher auf diesen Krieg antrug; seine
Stimme wurde damals nicht gehört, jetzt aber
dringt seine gut gemeinte Thorheit durch, zu ei-
ner Zeit, wo man sich doch zugleich bemüht, Pa-

Erſte Abtheilung.
geweſen ſey, der ſie ſo nach einem Manuſkript
aus dem zwoͤlften Jahrhundert umgearbeitet habe.
Die Erzaͤhlung iſt ſo ſchoͤn und einfach, daß die
Sache an ſich ſelbſt nicht unwahrſcheinlich iſt.

Manfred ſchlug ein lautes Gelaͤchter auf,
und ſagte nach einiger Zeit: O vortreflich! Die
Autoren, die uns den Oktavian und die Hey-
monskinder in ihrer alten treuherzigen Geſtalt
gaben, waren gewiß auch keine Stuͤmper, und
wer weiß, ob nicht einſt entdeckt wird, daß un-
ſer Eulenſpiegel nichts als eine Umwandlung des
beruͤhmten verlohrenen Margites iſt. Wie recht
hat Wilhelm Schlegel, wenn er einmal ſagt:
die gebildeten Staͤnde in Deutſchland haben noch
keine Literatur, aber der Bauer hat ſie. Denn
wohl ſind in dieſen unſcheinbaren ſchlecht ge-
druckten Schriften faſt alle Elemente der Poeſie,
vom Heroiſchen bis zum Zaͤrtlichen und hinab
zum kraͤftig Komiſchen, ausgeſprochen. Ich muß
hier auf meine Verwunderung zuruͤck kommen:
was meinen nehmlich nur die Herren, die mit
fanatiſcher Vernuͤnftigkeit und Mangel alles poe-
tiſchen Sinnes dieſe Buͤcher verfolgen, ſie dem
Bauer nehmen und Strafen auf ihre Verbrei-
tung ſetzen? Wenn ich nicht irre, war vor eini-
gen und dreißig Jahren, der gute alte Buͤſching
der erſte, welcher auf dieſen Krieg antrug; ſeine
Stimme wurde damals nicht gehoͤrt, jetzt aber
dringt ſeine gut gemeinte Thorheit durch, zu ei-
ner Zeit, wo man ſich doch zugleich bemuͤht, Pa-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0408" n="397"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Er&#x017F;te Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
gewe&#x017F;en &#x017F;ey, der &#x017F;ie &#x017F;o nach einem Manu&#x017F;kript<lb/>
aus dem zwo&#x0364;lften Jahrhundert umgearbeitet habe.<lb/>
Die Erza&#x0364;hlung i&#x017F;t &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;n und einfach, daß die<lb/>
Sache an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t nicht unwahr&#x017F;cheinlich i&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Manfred &#x017F;chlug ein lautes Gela&#x0364;chter auf,<lb/>
und &#x017F;agte nach einiger Zeit: O vortreflich! Die<lb/>
Autoren, die uns den Oktavian und die Hey-<lb/>
monskinder in ihrer alten treuherzigen Ge&#x017F;talt<lb/>
gaben, waren gewiß auch keine Stu&#x0364;mper, und<lb/>
wer weiß, ob nicht ein&#x017F;t entdeckt wird, daß un-<lb/>
&#x017F;er Eulen&#x017F;piegel nichts als eine Umwandlung des<lb/>
beru&#x0364;hmten verlohrenen Margites i&#x017F;t. Wie recht<lb/>
hat Wilhelm Schlegel, wenn er einmal &#x017F;agt:<lb/>
die gebildeten Sta&#x0364;nde in Deut&#x017F;chland haben noch<lb/>
keine Literatur, aber der Bauer hat &#x017F;ie. Denn<lb/>
wohl &#x017F;ind in die&#x017F;en un&#x017F;cheinbaren &#x017F;chlecht ge-<lb/>
druckten Schriften fa&#x017F;t alle Elemente der Poe&#x017F;ie,<lb/>
vom Heroi&#x017F;chen bis zum Za&#x0364;rtlichen und hinab<lb/>
zum kra&#x0364;ftig Komi&#x017F;chen, ausge&#x017F;prochen. Ich muß<lb/>
hier auf meine Verwunderung zuru&#x0364;ck kommen:<lb/>
was meinen nehmlich nur die Herren, die mit<lb/>
fanati&#x017F;cher Vernu&#x0364;nftigkeit und Mangel alles poe-<lb/>
ti&#x017F;chen Sinnes die&#x017F;e Bu&#x0364;cher verfolgen, &#x017F;ie dem<lb/>
Bauer nehmen und Strafen auf ihre Verbrei-<lb/>
tung &#x017F;etzen? Wenn ich nicht irre, war vor eini-<lb/>
gen und dreißig Jahren, der gute alte Bu&#x0364;&#x017F;ching<lb/>
der er&#x017F;te, welcher auf die&#x017F;en Krieg antrug; &#x017F;eine<lb/>
Stimme wurde damals nicht geho&#x0364;rt, jetzt aber<lb/>
dringt &#x017F;eine gut gemeinte Thorheit durch, zu ei-<lb/>
ner Zeit, wo man &#x017F;ich doch zugleich bemu&#x0364;ht, Pa-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[397/0408] Erſte Abtheilung. geweſen ſey, der ſie ſo nach einem Manuſkript aus dem zwoͤlften Jahrhundert umgearbeitet habe. Die Erzaͤhlung iſt ſo ſchoͤn und einfach, daß die Sache an ſich ſelbſt nicht unwahrſcheinlich iſt. Manfred ſchlug ein lautes Gelaͤchter auf, und ſagte nach einiger Zeit: O vortreflich! Die Autoren, die uns den Oktavian und die Hey- monskinder in ihrer alten treuherzigen Geſtalt gaben, waren gewiß auch keine Stuͤmper, und wer weiß, ob nicht einſt entdeckt wird, daß un- ſer Eulenſpiegel nichts als eine Umwandlung des beruͤhmten verlohrenen Margites iſt. Wie recht hat Wilhelm Schlegel, wenn er einmal ſagt: die gebildeten Staͤnde in Deutſchland haben noch keine Literatur, aber der Bauer hat ſie. Denn wohl ſind in dieſen unſcheinbaren ſchlecht ge- druckten Schriften faſt alle Elemente der Poeſie, vom Heroiſchen bis zum Zaͤrtlichen und hinab zum kraͤftig Komiſchen, ausgeſprochen. Ich muß hier auf meine Verwunderung zuruͤck kommen: was meinen nehmlich nur die Herren, die mit fanatiſcher Vernuͤnftigkeit und Mangel alles poe- tiſchen Sinnes dieſe Buͤcher verfolgen, ſie dem Bauer nehmen und Strafen auf ihre Verbrei- tung ſetzen? Wenn ich nicht irre, war vor eini- gen und dreißig Jahren, der gute alte Buͤſching der erſte, welcher auf dieſen Krieg antrug; ſeine Stimme wurde damals nicht gehoͤrt, jetzt aber dringt ſeine gut gemeinte Thorheit durch, zu ei- ner Zeit, wo man ſich doch zugleich bemuͤht, Pa-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/408
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/408>, abgerufen am 25.11.2024.