Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Erste Abtheilung.
in das wüste Meer hinaus, und du bist allein und
ohne Hülfe. Was willst du Unglückselige im wü-
sten Walde beginnen? Ach! ich bin Schuld an dei-
nem Tode! Mußte ich dich darum, dich Königs-
tochter, von deinen Eltern entführen, um dich der
härtesten Noth Preis zu geben? Bist du darum
so zart und edel erzogen, daß du nun vielleicht eine
Beute der wilden Thiere werden mußt? Was wird
sie nun machen, wenn sie erwacht, und den ver-
mißt, den sie für den Getreuesten auf der ganzen
Erde hielt? Warum mußte mein Vorwitz nur die
Ringe hervor suchen, konnte ich sie nicht an ihrem
schönsten Platze lassen, wo sie so sicher waren? O
weh mir, nun ist alles verloren und ich muß mich
in mein Verderben finden!

Solche Klagen trieb er, und gebehrdete sich auf
dem wüsten Meere äußerst trübselig. Er verlor
alle Hofnung, und gab sein Leben auf. Der Mond
schien vom Himmel herab und erfüllte die Welt
mit goldener Dämmerung; alles war still, nur die
Wellen seufzten und plätscherten, und Vögel flat-
terten zu Zeiten mit seltsamen Tönen über ihn da-
hin. Die Sterne standen ernst am Himmel und die
Wölbung spiegelte sich in der wogenden Fluth. Pe-
ter warf sich nieder, und sang mit lauter Stimme:

So tönet dann, schäumende Wellen,
Und windet euch rund um mich her!
Mag Unglück doch laut um mich bellen,
Erbost seyn das grausame Meer!
Ich lache den stürmenden Wettern,
Verachte den Zorngrimm der Fluth,
O

Erſte Abtheilung.
in das wuͤſte Meer hinaus, und du biſt allein und
ohne Huͤlfe. Was willſt du Ungluͤckſelige im wuͤ-
ſten Walde beginnen? Ach! ich bin Schuld an dei-
nem Tode! Mußte ich dich darum, dich Koͤnigs-
tochter, von deinen Eltern entfuͤhren, um dich der
haͤrteſten Noth Preis zu geben? Biſt du darum
ſo zart und edel erzogen, daß du nun vielleicht eine
Beute der wilden Thiere werden mußt? Was wird
ſie nun machen, wenn ſie erwacht, und den ver-
mißt, den ſie fuͤr den Getreueſten auf der ganzen
Erde hielt? Warum mußte mein Vorwitz nur die
Ringe hervor ſuchen, konnte ich ſie nicht an ihrem
ſchoͤnſten Platze laſſen, wo ſie ſo ſicher waren? O
weh mir, nun iſt alles verloren und ich muß mich
in mein Verderben finden!

Solche Klagen trieb er, und gebehrdete ſich auf
dem wuͤſten Meere aͤußerſt truͤbſelig. Er verlor
alle Hofnung, und gab ſein Leben auf. Der Mond
ſchien vom Himmel herab und erfuͤllte die Welt
mit goldener Daͤmmerung; alles war ſtill, nur die
Wellen ſeufzten und plaͤtſcherten, und Voͤgel flat-
terten zu Zeiten mit ſeltſamen Toͤnen uͤber ihn da-
hin. Die Sterne ſtanden ernſt am Himmel und die
Woͤlbung ſpiegelte ſich in der wogenden Fluth. Pe-
ter warf ſich nieder, und ſang mit lauter Stimme:

So toͤnet dann, ſchaͤumende Wellen,
Und windet euch rund um mich her!
Mag Ungluͤck doch laut um mich bellen,
Erboſt ſeyn das grauſame Meer!
Ich lache den ſtuͤrmenden Wettern,
Verachte den Zorngrimm der Fluth,
O
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0379" n="368"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Er&#x017F;te Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
in das wu&#x0364;&#x017F;te Meer hinaus, und du bi&#x017F;t allein und<lb/>
ohne Hu&#x0364;lfe. Was will&#x017F;t du Unglu&#x0364;ck&#x017F;elige im wu&#x0364;-<lb/>
&#x017F;ten Walde beginnen? Ach! ich bin Schuld an dei-<lb/>
nem Tode! Mußte ich dich darum, dich Ko&#x0364;nigs-<lb/>
tochter, von deinen Eltern entfu&#x0364;hren, um dich der<lb/>
ha&#x0364;rte&#x017F;ten Noth Preis zu geben? Bi&#x017F;t du darum<lb/>
&#x017F;o zart und edel erzogen, daß du nun vielleicht eine<lb/>
Beute der wilden Thiere werden mußt? Was wird<lb/>
&#x017F;ie nun machen, wenn &#x017F;ie erwacht, und den ver-<lb/>
mißt, den &#x017F;ie fu&#x0364;r den Getreue&#x017F;ten auf der ganzen<lb/>
Erde hielt? Warum mußte mein Vorwitz nur die<lb/>
Ringe hervor &#x017F;uchen, konnte ich &#x017F;ie nicht an ihrem<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Platze la&#x017F;&#x017F;en, wo &#x017F;ie &#x017F;o &#x017F;icher waren? O<lb/>
weh mir, nun i&#x017F;t alles verloren und ich muß mich<lb/>
in mein Verderben finden!</p><lb/>
            <p>Solche Klagen trieb er, und gebehrdete &#x017F;ich auf<lb/>
dem wu&#x0364;&#x017F;ten Meere a&#x0364;ußer&#x017F;t tru&#x0364;b&#x017F;elig. Er verlor<lb/>
alle Hofnung, und gab &#x017F;ein Leben auf. Der Mond<lb/>
&#x017F;chien vom Himmel herab und erfu&#x0364;llte die Welt<lb/>
mit goldener Da&#x0364;mmerung; alles war &#x017F;till, nur die<lb/>
Wellen &#x017F;eufzten und pla&#x0364;t&#x017F;cherten, und Vo&#x0364;gel flat-<lb/>
terten zu Zeiten mit &#x017F;elt&#x017F;amen To&#x0364;nen u&#x0364;ber ihn da-<lb/>
hin. Die Sterne &#x017F;tanden ern&#x017F;t am Himmel und die<lb/>
Wo&#x0364;lbung &#x017F;piegelte &#x017F;ich in der wogenden Fluth. Pe-<lb/>
ter warf &#x017F;ich nieder, und &#x017F;ang mit lauter Stimme:</p><lb/>
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <l>So to&#x0364;net dann, &#x017F;cha&#x0364;umende Wellen,</l><lb/>
                <l>Und windet euch rund um mich her!</l><lb/>
                <l>Mag Unglu&#x0364;ck doch laut um mich bellen,</l><lb/>
                <l>Erbo&#x017F;t &#x017F;eyn das grau&#x017F;ame Meer!</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="2">
                <l>Ich lache den &#x017F;tu&#x0364;rmenden Wettern,</l><lb/>
                <l>Verachte den Zorngrimm der Fluth,</l><lb/>
                <fw place="bottom" type="catch">O</fw><lb/>
              </lg>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[368/0379] Erſte Abtheilung. in das wuͤſte Meer hinaus, und du biſt allein und ohne Huͤlfe. Was willſt du Ungluͤckſelige im wuͤ- ſten Walde beginnen? Ach! ich bin Schuld an dei- nem Tode! Mußte ich dich darum, dich Koͤnigs- tochter, von deinen Eltern entfuͤhren, um dich der haͤrteſten Noth Preis zu geben? Biſt du darum ſo zart und edel erzogen, daß du nun vielleicht eine Beute der wilden Thiere werden mußt? Was wird ſie nun machen, wenn ſie erwacht, und den ver- mißt, den ſie fuͤr den Getreueſten auf der ganzen Erde hielt? Warum mußte mein Vorwitz nur die Ringe hervor ſuchen, konnte ich ſie nicht an ihrem ſchoͤnſten Platze laſſen, wo ſie ſo ſicher waren? O weh mir, nun iſt alles verloren und ich muß mich in mein Verderben finden! Solche Klagen trieb er, und gebehrdete ſich auf dem wuͤſten Meere aͤußerſt truͤbſelig. Er verlor alle Hofnung, und gab ſein Leben auf. Der Mond ſchien vom Himmel herab und erfuͤllte die Welt mit goldener Daͤmmerung; alles war ſtill, nur die Wellen ſeufzten und plaͤtſcherten, und Voͤgel flat- terten zu Zeiten mit ſeltſamen Toͤnen uͤber ihn da- hin. Die Sterne ſtanden ernſt am Himmel und die Woͤlbung ſpiegelte ſich in der wogenden Fluth. Pe- ter warf ſich nieder, und ſang mit lauter Stimme: So toͤnet dann, ſchaͤumende Wellen, Und windet euch rund um mich her! Mag Ungluͤck doch laut um mich bellen, Erboſt ſeyn das grauſame Meer! Ich lache den ſtuͤrmenden Wettern, Verachte den Zorngrimm der Fluth, O

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/379
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/379>, abgerufen am 03.12.2024.