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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Die schöne Magelone.
Haupt, daß ich weder sie noch die übrige Welt
wahrzunehmen vermag.

Er ging nach Hause, und glaubte in manchen
Augenblicken, die Zeit stehe seit der Stunde still,
in der er die treue Amme gesprochen hatte, denn
es wollte nicht Abend werden; als es Abend war,
saß er ohne Licht in seiner Kammer und betrachtete
die Wolken und Sterne, und sein Herz schlug ihm
ungestüm, wenn er dann plötzlich an sich und Ma-
gelonen dachte. Er glaubte nicht, daß es wieder
Tag werden könne, und daß es die bezeichnete
Stunde wagen werde, herauf zu kommen. Einge-
dämmert von Erwartungen, banger Sehnsucht und
ängstlicher Hofnung, schlief er auf seinem Ruhe-
bette ein, und erwachte, als muntre Sonnenstrah-
len in seine Kammer herein spielten, und hell und
fröhlich an den Wänden zuckten.

Er raffte sich auf, und dachte, was er ihr
sagen wolle; er erschrack jezt vor dem Gedanken,
daß er sie sprechen müsse; dennoch war es sein
herzinniglichster Wunsch, er konnte sich nicht be-
sänftigen, darum nahm er die Laute und sang:

Wie soll ich die Freude,
Die Wonne denn tragen?
Daß unter dem Schlagen
Des Herzens die Seele nicht scheide?
Und wenn nun die Stunden
Der Liebe verschwunden,
Wozu das Gelüste,
In trauriger Wüste

Die ſchoͤne Magelone.
Haupt, daß ich weder ſie noch die uͤbrige Welt
wahrzunehmen vermag.

Er ging nach Hauſe, und glaubte in manchen
Augenblicken, die Zeit ſtehe ſeit der Stunde ſtill,
in der er die treue Amme geſprochen hatte, denn
es wollte nicht Abend werden; als es Abend war,
ſaß er ohne Licht in ſeiner Kammer und betrachtete
die Wolken und Sterne, und ſein Herz ſchlug ihm
ungeſtuͤm, wenn er dann ploͤtzlich an ſich und Ma-
gelonen dachte. Er glaubte nicht, daß es wieder
Tag werden koͤnne, und daß es die bezeichnete
Stunde wagen werde, herauf zu kommen. Einge-
daͤmmert von Erwartungen, banger Sehnſucht und
aͤngſtlicher Hofnung, ſchlief er auf ſeinem Ruhe-
bette ein, und erwachte, als muntre Sonnenſtrah-
len in ſeine Kammer herein ſpielten, und hell und
froͤhlich an den Waͤnden zuckten.

Er raffte ſich auf, und dachte, was er ihr
ſagen wolle; er erſchrack jezt vor dem Gedanken,
daß er ſie ſprechen muͤſſe; dennoch war es ſein
herzinniglichſter Wunſch, er konnte ſich nicht be-
ſaͤnftigen, darum nahm er die Laute und ſang:

Wie ſoll ich die Freude,
Die Wonne denn tragen?
Daß unter dem Schlagen
Des Herzens die Seele nicht ſcheide?
Und wenn nun die Stunden
Der Liebe verſchwunden,
Wozu das Geluͤſte,
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[351/0362] Die ſchoͤne Magelone. Haupt, daß ich weder ſie noch die uͤbrige Welt wahrzunehmen vermag. Er ging nach Hauſe, und glaubte in manchen Augenblicken, die Zeit ſtehe ſeit der Stunde ſtill, in der er die treue Amme geſprochen hatte, denn es wollte nicht Abend werden; als es Abend war, ſaß er ohne Licht in ſeiner Kammer und betrachtete die Wolken und Sterne, und ſein Herz ſchlug ihm ungeſtuͤm, wenn er dann ploͤtzlich an ſich und Ma- gelonen dachte. Er glaubte nicht, daß es wieder Tag werden koͤnne, und daß es die bezeichnete Stunde wagen werde, herauf zu kommen. Einge- daͤmmert von Erwartungen, banger Sehnſucht und aͤngſtlicher Hofnung, ſchlief er auf ſeinem Ruhe- bette ein, und erwachte, als muntre Sonnenſtrah- len in ſeine Kammer herein ſpielten, und hell und froͤhlich an den Waͤnden zuckten. Er raffte ſich auf, und dachte, was er ihr ſagen wolle; er erſchrack jezt vor dem Gedanken, daß er ſie ſprechen muͤſſe; dennoch war es ſein herzinniglichſter Wunſch, er konnte ſich nicht be- ſaͤnftigen, darum nahm er die Laute und ſang: Wie ſoll ich die Freude, Die Wonne denn tragen? Daß unter dem Schlagen Des Herzens die Seele nicht ſcheide? Und wenn nun die Stunden Der Liebe verſchwunden, Wozu das Geluͤſte, In trauriger Wuͤſte

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/362>, abgerufen am 22.11.2024.