Darf ich in den Spiegel schauen, Den die Hofnung vor mir hält? Ach, wie trügend ist die Welt!
Nein, ich kann ihr nicht vertrauen.
O und dennoch laß nicht wanken Was dir nur noch Stärke giebt, Wenn die Einzge dich nicht liebt, Bleibt nur bittrer Tod dem Kranken.
Dieses Lied rührte Magelonen; sie las es und las es von neuem, es war ganz ihre eigene Em- pfindung, wie von einem Echo nachgesprochen. Sie betrachtete den köstlichen Ring, und bat die Amme flehentlich, ihr denselben gegen ein andres Kleinod auszutauschen; die Amme wurde betrübt, da sie sahe, daß das Herz der Prinzessin so ganz von Liebe eingenommen sey, sie sagte daher: mein Kind, es schmerzt mich innig, daß du dich einem Frem- den gleich so willig und ganz hingeben willst. Ma- gelone wurde sehr zornig, als sie diese Worte hörte. Fremd? rief sie aus; o wer ist dann meinem Her- zen nahe, wenn er mir fremd ist? Wehe müsse dir deine Zunge auf lange thun, für diese Rede, denn sie hat mein Herz gespalten. Wie kann er mir denn fremd seyn, wenn ich selbst mein eigen bin, da er nichts ist, als was ich bin, da ich nur das seyn kann, was er mir zu seyn vergönnt? Die Luft, den Athem, das Leben, alles, alles, darf ich ihm nur danken, mein Herz gehört mit selbst nicht mehr, seit ich ihn kenne; o, liebe Gertraud, was wär ich in der Welt, und was wäre die
Die ſchoͤne Magelone.
Darf ich in den Spiegel ſchauen, Den die Hofnung vor mir haͤlt? Ach, wie truͤgend iſt die Welt!
Nein, ich kann ihr nicht vertrauen.
O und dennoch laß nicht wanken Was dir nur noch Staͤrke giebt, Wenn die Einzge dich nicht liebt, Bleibt nur bittrer Tod dem Kranken.
Dieſes Lied ruͤhrte Magelonen; ſie las es und las es von neuem, es war ganz ihre eigene Em- pfindung, wie von einem Echo nachgeſprochen. Sie betrachtete den koͤſtlichen Ring, und bat die Amme flehentlich, ihr denſelben gegen ein andres Kleinod auszutauſchen; die Amme wurde betruͤbt, da ſie ſahe, daß das Herz der Prinzeſſin ſo ganz von Liebe eingenommen ſey, ſie ſagte daher: mein Kind, es ſchmerzt mich innig, daß du dich einem Frem- den gleich ſo willig und ganz hingeben willſt. Ma- gelone wurde ſehr zornig, als ſie dieſe Worte hoͤrte. Fremd? rief ſie aus; o wer iſt dann meinem Her- zen nahe, wenn er mir fremd iſt? Wehe muͤſſe dir deine Zunge auf lange thun, fuͤr dieſe Rede, denn ſie hat mein Herz geſpalten. Wie kann er mir denn fremd ſeyn, wenn ich ſelbſt mein eigen bin, da er nichts iſt, als was ich bin, da ich nur das ſeyn kann, was er mir zu ſeyn vergoͤnnt? Die Luft, den Athem, das Leben, alles, alles, darf ich ihm nur danken, mein Herz gehoͤrt mit ſelbſt nicht mehr, ſeit ich ihn kenne; o, liebe Gertraud, was waͤr ich in der Welt, und was waͤre die
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Die ſchoͤne Magelone.
Darf ich in den Spiegel ſchauen,
Den die Hofnung vor mir haͤlt?
Ach, wie truͤgend iſt die Welt!
Nein, ich kann ihr nicht vertrauen.
O und dennoch laß nicht wanken
Was dir nur noch Staͤrke giebt,
Wenn die Einzge dich nicht liebt,
Bleibt nur bittrer Tod dem Kranken.
Dieſes Lied ruͤhrte Magelonen; ſie las es und
las es von neuem, es war ganz ihre eigene Em-
pfindung, wie von einem Echo nachgeſprochen. Sie
betrachtete den koͤſtlichen Ring, und bat die Amme
flehentlich, ihr denſelben gegen ein andres Kleinod
auszutauſchen; die Amme wurde betruͤbt, da ſie
ſahe, daß das Herz der Prinzeſſin ſo ganz von
Liebe eingenommen ſey, ſie ſagte daher: mein Kind,
es ſchmerzt mich innig, daß du dich einem Frem-
den gleich ſo willig und ganz hingeben willſt. Ma-
gelone wurde ſehr zornig, als ſie dieſe Worte hoͤrte.
Fremd? rief ſie aus; o wer iſt dann meinem Her-
zen nahe, wenn er mir fremd iſt? Wehe muͤſſe
dir deine Zunge auf lange thun, fuͤr dieſe Rede,
denn ſie hat mein Herz geſpalten. Wie kann er
mir denn fremd ſeyn, wenn ich ſelbſt mein eigen
bin, da er nichts iſt, als was ich bin, da ich nur
das ſeyn kann, was er mir zu ſeyn vergoͤnnt? Die
Luft, den Athem, das Leben, alles, alles, darf
ich ihm nur danken, mein Herz gehoͤrt mit ſelbſt
nicht mehr, ſeit ich ihn kenne; o, liebe Gertraud,
was waͤr ich in der Welt, und was waͤre die
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/356>, abgerufen am 25.11.2024.
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