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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Erste Abtheilung.
nicht zu treffen, denn seine Maske ist kenntlich
genug.

Wissen Sie, was der wunderliche Mensch
treibt? antwortete der junge Offizier; er hat weder
getanzt noch sich lange im Saale aufgehalten, denn
er fand sogleich seinen Freund Anderson, der vom
Lande herein gekommen ist, ihr Gespräch fiel auf
die Literatur, und da dieser das neulich heraus-
gekommene Gedicht noch nicht kannte, so hat Ro-
derich nicht eher geruht, bis man ihm eins der hin-
tern Zimmer aufgeschlossen hat, dort sitzt er mit
seinem Gefährten bei einer einsamen Kerze und
liest ihm das ganze Werk vor.

Das sieht ihm ähnlich, sagte Emil, denn er
besteht ganz aus Laune. Ich habe alles angewandt,
und selbst freundschaftliche Zwistigkeiten nicht ge-
scheut, um es ihm abzugewöhnen, immer ex tem-
pore
zu leben und sein ganzes Daseyn in Im-
promptus auszuspielen: allein diese Thorheiten sind
ihm so ans Herz gewachsen, daß er sich eher vom
liebsten Freunde, als von ihnen trennen würde.
Das nemliche Werk, welches er so liebt, daß er
es immer bei sich trägt, hat er mir neulich vorle-
sen wollen, und ich hatte ihn sogar dringend darum
gebeten, wir waren aber kaum über den Anfang,
indeß ich ganz den Schönheiten hingegeben war,
als er plötzlich aufsprang, mit der Küchenschürze
umgethan zurück kehrte, mit vielen Umständen
Feuer anschüren ließ, um mir Beefsteaks zu rösten,
zu welchen ich kein Verlangen trug, und die er

sich

Erſte Abtheilung.
nicht zu treffen, denn ſeine Maske iſt kenntlich
genug.

Wiſſen Sie, was der wunderliche Menſch
treibt? antwortete der junge Offizier; er hat weder
getanzt noch ſich lange im Saale aufgehalten, denn
er fand ſogleich ſeinen Freund Anderſon, der vom
Lande herein gekommen iſt, ihr Geſpraͤch fiel auf
die Literatur, und da dieſer das neulich heraus-
gekommene Gedicht noch nicht kannte, ſo hat Ro-
derich nicht eher geruht, bis man ihm eins der hin-
tern Zimmer aufgeſchloſſen hat, dort ſitzt er mit
ſeinem Gefaͤhrten bei einer einſamen Kerze und
lieſt ihm das ganze Werk vor.

Das ſieht ihm aͤhnlich, ſagte Emil, denn er
beſteht ganz aus Laune. Ich habe alles angewandt,
und ſelbſt freundſchaftliche Zwiſtigkeiten nicht ge-
ſcheut, um es ihm abzugewoͤhnen, immer ex tem-
pore
zu leben und ſein ganzes Daſeyn in Im-
promptus auszuſpielen: allein dieſe Thorheiten ſind
ihm ſo ans Herz gewachſen, daß er ſich eher vom
liebſten Freunde, als von ihnen trennen wuͤrde.
Das nemliche Werk, welches er ſo liebt, daß er
es immer bei ſich traͤgt, hat er mir neulich vorle-
ſen wollen, und ich hatte ihn ſogar dringend darum
gebeten, wir waren aber kaum uͤber den Anfang,
indeß ich ganz den Schoͤnheiten hingegeben war,
als er ploͤtzlich aufſprang, mit der Kuͤchenſchuͤrze
umgethan zuruͤck kehrte, mit vielen Umſtaͤnden
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zu welchen ich kein Verlangen trug, und die er

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[288/0299] Erſte Abtheilung. nicht zu treffen, denn ſeine Maske iſt kenntlich genug. Wiſſen Sie, was der wunderliche Menſch treibt? antwortete der junge Offizier; er hat weder getanzt noch ſich lange im Saale aufgehalten, denn er fand ſogleich ſeinen Freund Anderſon, der vom Lande herein gekommen iſt, ihr Geſpraͤch fiel auf die Literatur, und da dieſer das neulich heraus- gekommene Gedicht noch nicht kannte, ſo hat Ro- derich nicht eher geruht, bis man ihm eins der hin- tern Zimmer aufgeſchloſſen hat, dort ſitzt er mit ſeinem Gefaͤhrten bei einer einſamen Kerze und lieſt ihm das ganze Werk vor. Das ſieht ihm aͤhnlich, ſagte Emil, denn er beſteht ganz aus Laune. Ich habe alles angewandt, und ſelbſt freundſchaftliche Zwiſtigkeiten nicht ge- ſcheut, um es ihm abzugewoͤhnen, immer ex tem- pore zu leben und ſein ganzes Daſeyn in Im- promptus auszuſpielen: allein dieſe Thorheiten ſind ihm ſo ans Herz gewachſen, daß er ſich eher vom liebſten Freunde, als von ihnen trennen wuͤrde. Das nemliche Werk, welches er ſo liebt, daß er es immer bei ſich traͤgt, hat er mir neulich vorle- ſen wollen, und ich hatte ihn ſogar dringend darum gebeten, wir waren aber kaum uͤber den Anfang, indeß ich ganz den Schoͤnheiten hingegeben war, als er ploͤtzlich aufſprang, mit der Kuͤchenſchuͤrze umgethan zuruͤck kehrte, mit vielen Umſtaͤnden Feuer anſchuͤren ließ, um mir Beefſteaks zu roͤſten, zu welchen ich kein Verlangen trug, und die er ſich

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/299>, abgerufen am 22.11.2024.