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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Einleitung.
Schlössern und deutschem tapfern Sinn beschirmt,
gekränzt mit den einzig grünen Wiesen, auf
denen so liebe Traulichkeit und einfacher Sinn
wohnt. Gewiß, wem es gelänge, auf solche
Weise ein geliebtes Vaterland zu schildern, aus
den unmittelbarsten Gefühlen, der würde ohne
alle Affektation zugleich ein hinreißendes Dich-
terwerk ersonnen haben.

Oft, fiel Theodor ein, habe ich mich dar-
über wundern müssen, daß wir nicht mit mehr
Ehrfurcht die Fußstapfen unsrer Vorfahren auf-
suchen, da wir vor allem Griechischen und Rö-
mischen, ja vor allem Fremden oft mit so heili-
gen Gefühlen stehn und uns durch edle Erinn-
rungen entzückt fühlen; so wie auch darüber,
daß unsre Dichter noch so wenig gethan haben,
diesen Geist zu erwecken.

Manche, sagte Ernst, haben es eine Zeit-
lang versucht, aber schwach, viele verkehrt, und
ein hoher Sinn, der Deutschland so liebte und
einheimisch war, wie der große Shakspear seinem
Vaterlande, hat uns bisher noch gefehlt.

Wir vergessen aber, rief Theodor, die herr-
liche Gegend zu genießen, auf die Vögel aus
dem Dickicht des Waldes und auf das Gemur-
mel dieser lieblichen Bäche zu horchen.

Alles tönt auch unbewußt in unsre Seele
hinein, sagte Ernst; auch wollten wir ja noch
die schöne Ruine besteigen, die dort schon vor
uns liegt, und auch mit jedem Jahre mehr ver-

Einleitung.
Schloͤſſern und deutſchem tapfern Sinn beſchirmt,
gekraͤnzt mit den einzig gruͤnen Wieſen, auf
denen ſo liebe Traulichkeit und einfacher Sinn
wohnt. Gewiß, wem es gelaͤnge, auf ſolche
Weiſe ein geliebtes Vaterland zu ſchildern, aus
den unmittelbarſten Gefuͤhlen, der wuͤrde ohne
alle Affektation zugleich ein hinreißendes Dich-
terwerk erſonnen haben.

Oft, fiel Theodor ein, habe ich mich dar-
uͤber wundern muͤſſen, daß wir nicht mit mehr
Ehrfurcht die Fußſtapfen unſrer Vorfahren auf-
ſuchen, da wir vor allem Griechiſchen und Roͤ-
miſchen, ja vor allem Fremden oft mit ſo heili-
gen Gefuͤhlen ſtehn und uns durch edle Erinn-
rungen entzuͤckt fuͤhlen; ſo wie auch daruͤber,
daß unſre Dichter noch ſo wenig gethan haben,
dieſen Geiſt zu erwecken.

Manche, ſagte Ernſt, haben es eine Zeit-
lang verſucht, aber ſchwach, viele verkehrt, und
ein hoher Sinn, der Deutſchland ſo liebte und
einheimiſch war, wie der große Shakſpear ſeinem
Vaterlande, hat uns bisher noch gefehlt.

Wir vergeſſen aber, rief Theodor, die herr-
liche Gegend zu genießen, auf die Voͤgel aus
dem Dickicht des Waldes und auf das Gemur-
mel dieſer lieblichen Baͤche zu horchen.

Alles toͤnt auch unbewußt in unſre Seele
hinein, ſagte Ernſt; auch wollten wir ja noch
die ſchoͤne Ruine beſteigen, die dort ſchon vor
uns liegt, und auch mit jedem Jahre mehr ver-

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[14/0025] Einleitung. Schloͤſſern und deutſchem tapfern Sinn beſchirmt, gekraͤnzt mit den einzig gruͤnen Wieſen, auf denen ſo liebe Traulichkeit und einfacher Sinn wohnt. Gewiß, wem es gelaͤnge, auf ſolche Weiſe ein geliebtes Vaterland zu ſchildern, aus den unmittelbarſten Gefuͤhlen, der wuͤrde ohne alle Affektation zugleich ein hinreißendes Dich- terwerk erſonnen haben. Oft, fiel Theodor ein, habe ich mich dar- uͤber wundern muͤſſen, daß wir nicht mit mehr Ehrfurcht die Fußſtapfen unſrer Vorfahren auf- ſuchen, da wir vor allem Griechiſchen und Roͤ- miſchen, ja vor allem Fremden oft mit ſo heili- gen Gefuͤhlen ſtehn und uns durch edle Erinn- rungen entzuͤckt fuͤhlen; ſo wie auch daruͤber, daß unſre Dichter noch ſo wenig gethan haben, dieſen Geiſt zu erwecken. Manche, ſagte Ernſt, haben es eine Zeit- lang verſucht, aber ſchwach, viele verkehrt, und ein hoher Sinn, der Deutſchland ſo liebte und einheimiſch war, wie der große Shakſpear ſeinem Vaterlande, hat uns bisher noch gefehlt. Wir vergeſſen aber, rief Theodor, die herr- liche Gegend zu genießen, auf die Voͤgel aus dem Dickicht des Waldes und auf das Gemur- mel dieſer lieblichen Baͤche zu horchen. Alles toͤnt auch unbewußt in unſre Seele hinein, ſagte Ernſt; auch wollten wir ja noch die ſchoͤne Ruine beſteigen, die dort ſchon vor uns liegt, und auch mit jedem Jahre mehr ver-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/25>, abgerufen am 24.11.2024.