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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Erste Abtheilung.
nachdenkend, die beiden Freunde gingen in die Burg
zurück, doch blieben sie in einem Zimmer allein.

Nachdem der Tannenhäuser eine Weile ge-
schwiegen hatte, fing er wieder an: Immer noch
erschüttert mich das Andenken dieser Stunden tief,
und ich begreife nicht, wie ich sie habe überleben
können. Nunmehr schien mir die Erde und das
Leben völlig ausgestorben und verwüstet, ich schleppte
mich ohne Gedanken und Wunsch von einem Tage
zum andern hinüber. Dann gerieth ich in eine Ge-
sellschaft von wilden jungen Leuten, und in Trunk
und Wollust suchte ich den pochenden bösen Geist
in mir zu besänftigen. Die alte brennende Unge-
duld erwachte in meiner Brust von neuem, und
ich konnte mich und meine Wünsche selber nicht
verstehn. Ein Wüstling, Rudolf genannt, war
mein Vertrauter geworden, der aber immer meine
Klagen wie meine Sehnsucht verlachte. So mochte
ein Jahr verflossen sein, als meine Angst bis zur
Verzweiflung stieg, es drängte mich weiter, weiter,
hinein in eine unbekannte Ferne, ich hätte mich von
den hohen Bergen hinab in den Glanz der Wiesen-
farben, in das kühle Gebrause der Ströme stür-
zen mögen, um den glühenden Durst der Seele,
die Unersättlichkeit zu löschen; ich sehnte mich nach
der Vernichtung und wieder wie goldne Morgen-
wolken schwebten Hofnung und Lebenslust vor mir
hin und lockten mich nach. Da kam ich auf den
Gedanken, daß die Hölle nach mir lüstern sei, und
mir so Schmerzen wie Freuden entgegen sende, um
mich zu verderben, daß ein tückischer Geist alle

Erſte Abtheilung.
nachdenkend, die beiden Freunde gingen in die Burg
zuruͤck, doch blieben ſie in einem Zimmer allein.

Nachdem der Tannenhaͤuſer eine Weile ge-
ſchwiegen hatte, fing er wieder an: Immer noch
erſchuͤttert mich das Andenken dieſer Stunden tief,
und ich begreife nicht, wie ich ſie habe uͤberleben
koͤnnen. Nunmehr ſchien mir die Erde und das
Leben voͤllig ausgeſtorben und verwuͤſtet, ich ſchleppte
mich ohne Gedanken und Wunſch von einem Tage
zum andern hinuͤber. Dann gerieth ich in eine Ge-
ſellſchaft von wilden jungen Leuten, und in Trunk
und Wolluſt ſuchte ich den pochenden boͤſen Geiſt
in mir zu beſaͤnftigen. Die alte brennende Unge-
duld erwachte in meiner Bruſt von neuem, und
ich konnte mich und meine Wuͤnſche ſelber nicht
verſtehn. Ein Wuͤſtling, Rudolf genannt, war
mein Vertrauter geworden, der aber immer meine
Klagen wie meine Sehnſucht verlachte. So mochte
ein Jahr verfloſſen ſein, als meine Angſt bis zur
Verzweiflung ſtieg, es draͤngte mich weiter, weiter,
hinein in eine unbekannte Ferne, ich haͤtte mich von
den hohen Bergen hinab in den Glanz der Wieſen-
farben, in das kuͤhle Gebrauſe der Stroͤme ſtuͤr-
zen moͤgen, um den gluͤhenden Durſt der Seele,
die Unerſaͤttlichkeit zu loͤſchen; ich ſehnte mich nach
der Vernichtung und wieder wie goldne Morgen-
wolken ſchwebten Hofnung und Lebensluſt vor mir
hin und lockten mich nach. Da kam ich auf den
Gedanken, daß die Hoͤlle nach mir luͤſtern ſei, und
mir ſo Schmerzen wie Freuden entgegen ſende, um
mich zu verderben, daß ein tuͤckiſcher Geiſt alle

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[232/0243] Erſte Abtheilung. nachdenkend, die beiden Freunde gingen in die Burg zuruͤck, doch blieben ſie in einem Zimmer allein. Nachdem der Tannenhaͤuſer eine Weile ge- ſchwiegen hatte, fing er wieder an: Immer noch erſchuͤttert mich das Andenken dieſer Stunden tief, und ich begreife nicht, wie ich ſie habe uͤberleben koͤnnen. Nunmehr ſchien mir die Erde und das Leben voͤllig ausgeſtorben und verwuͤſtet, ich ſchleppte mich ohne Gedanken und Wunſch von einem Tage zum andern hinuͤber. Dann gerieth ich in eine Ge- ſellſchaft von wilden jungen Leuten, und in Trunk und Wolluſt ſuchte ich den pochenden boͤſen Geiſt in mir zu beſaͤnftigen. Die alte brennende Unge- duld erwachte in meiner Bruſt von neuem, und ich konnte mich und meine Wuͤnſche ſelber nicht verſtehn. Ein Wuͤſtling, Rudolf genannt, war mein Vertrauter geworden, der aber immer meine Klagen wie meine Sehnſucht verlachte. So mochte ein Jahr verfloſſen ſein, als meine Angſt bis zur Verzweiflung ſtieg, es draͤngte mich weiter, weiter, hinein in eine unbekannte Ferne, ich haͤtte mich von den hohen Bergen hinab in den Glanz der Wieſen- farben, in das kuͤhle Gebrauſe der Stroͤme ſtuͤr- zen moͤgen, um den gluͤhenden Durſt der Seele, die Unerſaͤttlichkeit zu loͤſchen; ich ſehnte mich nach der Vernichtung und wieder wie goldne Morgen- wolken ſchwebten Hofnung und Lebensluſt vor mir hin und lockten mich nach. Da kam ich auf den Gedanken, daß die Hoͤlle nach mir luͤſtern ſei, und mir ſo Schmerzen wie Freuden entgegen ſende, um mich zu verderben, daß ein tuͤckiſcher Geiſt alle

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/243>, abgerufen am 22.11.2024.