Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.Der getreue Eckart. lich vor einem eisernen Gatterwerk, welches einenGarten umschloß. Durch dasselbe sah ich schöne dunkle Gänge vor mir, Fruchtbäume und Blu- men, voran standen Rosengebüsche, die im Schein der Sonne glänzten. Ein unnennbares Sehnen zu den Rosen ergriff mich, ich konnte mich nicht zurück halten, ich drängte mich mit Gewalt durch die eisernen Stäbe, und war nun im Garten. Als- bald fiel ich nieder, umfaßte mit meinen Armen die Gebüsche, küßte die Rosen auf ihren rothen Mund, und ergoß mich in Thränen. Als ich mich eine Zeit in dieser Entzückung verloren hatte, kamen zwei Mädchen durch die Baumgänge, die eine älter, die andre von meinen Jahren. Ich erwachte aus meiner Betäubung, um mich einer höheren Trunkenheit hinzugeben. Mein Auge fiel auf die jüngere, und mir war in diesem Augen- blicke, als würde ich von allen meinen unbekann- ten Schmerzen geheilt. Man nahm mich im Hause auf, die Eltern der beiden Kinder erkundigten sich nach meinem Namen, und schickten meinem Vater Bothschaft, der mich gegen Abend selber wieder abholte. Von diesem Tage hatte der ungewisse Lauf Der getreue Eckart. lich vor einem eiſernen Gatterwerk, welches einenGarten umſchloß. Durch daſſelbe ſah ich ſchoͤne dunkle Gaͤnge vor mir, Fruchtbaͤume und Blu- men, voran ſtanden Roſengebuͤſche, die im Schein der Sonne glaͤnzten. Ein unnennbares Sehnen zu den Roſen ergriff mich, ich konnte mich nicht zuruͤck halten, ich draͤngte mich mit Gewalt durch die eiſernen Staͤbe, und war nun im Garten. Als- bald fiel ich nieder, umfaßte mit meinen Armen die Gebuͤſche, kuͤßte die Roſen auf ihren rothen Mund, und ergoß mich in Thraͤnen. Als ich mich eine Zeit in dieſer Entzuͤckung verloren hatte, kamen zwei Maͤdchen durch die Baumgaͤnge, die eine aͤlter, die andre von meinen Jahren. Ich erwachte aus meiner Betaͤubung, um mich einer hoͤheren Trunkenheit hinzugeben. Mein Auge fiel auf die juͤngere, und mir war in dieſem Augen- blicke, als wuͤrde ich von allen meinen unbekann- ten Schmerzen geheilt. Man nahm mich im Hauſe auf, die Eltern der beiden Kinder erkundigten ſich nach meinem Namen, und ſchickten meinem Vater Bothſchaft, der mich gegen Abend ſelber wieder abholte. Von dieſem Tage hatte der ungewiſſe Lauf <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0238" n="227"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Der getreue Eckart</hi>.</fw><lb/> lich vor einem eiſernen Gatterwerk, welches einen<lb/> Garten umſchloß. Durch daſſelbe ſah ich ſchoͤne<lb/> dunkle Gaͤnge vor mir, Fruchtbaͤume und Blu-<lb/> men, voran ſtanden Roſengebuͤſche, die im Schein<lb/> der Sonne glaͤnzten. Ein unnennbares Sehnen<lb/> zu den Roſen ergriff mich, ich konnte mich nicht<lb/> zuruͤck halten, ich draͤngte mich mit Gewalt durch<lb/> die eiſernen Staͤbe, und war nun im Garten. Als-<lb/> bald fiel ich nieder, umfaßte mit meinen Armen<lb/> die Gebuͤſche, kuͤßte die Roſen auf ihren rothen<lb/> Mund, und ergoß mich in Thraͤnen. Als ich mich<lb/> eine Zeit in dieſer Entzuͤckung verloren hatte,<lb/> kamen zwei Maͤdchen durch die Baumgaͤnge, die<lb/> eine aͤlter, die andre von meinen Jahren. Ich<lb/> erwachte aus meiner Betaͤubung, um mich einer<lb/> hoͤheren Trunkenheit hinzugeben. Mein Auge fiel<lb/> auf die juͤngere, und mir war in dieſem Augen-<lb/> blicke, als wuͤrde ich von allen meinen unbekann-<lb/> ten Schmerzen geheilt. Man nahm mich im Hauſe<lb/> auf, die Eltern der beiden Kinder erkundigten ſich<lb/> nach meinem Namen, und ſchickten meinem Vater<lb/> Bothſchaft, der mich gegen Abend ſelber wieder<lb/> abholte.</p><lb/> <p>Von dieſem Tage hatte der ungewiſſe Lauf<lb/> meines Lebens eine beſtimmte Richtung gewonnen,<lb/> meine Gedanken eilten immer wieder nach dem<lb/> Schloſſe und dem Maͤdchen zuruͤck, denn hier ſchien<lb/> mir die Heimath aller meiner Wuͤnſche. Ich ver-<lb/> gaß meiner gewohnten Freuden, ich vernachlaͤſſigte<lb/> meine Geſpielen, und beſuchte oft den Garten, das<lb/> Schloß und das Maͤdchen. Bald war ich dort<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [227/0238]
Der getreue Eckart.
lich vor einem eiſernen Gatterwerk, welches einen
Garten umſchloß. Durch daſſelbe ſah ich ſchoͤne
dunkle Gaͤnge vor mir, Fruchtbaͤume und Blu-
men, voran ſtanden Roſengebuͤſche, die im Schein
der Sonne glaͤnzten. Ein unnennbares Sehnen
zu den Roſen ergriff mich, ich konnte mich nicht
zuruͤck halten, ich draͤngte mich mit Gewalt durch
die eiſernen Staͤbe, und war nun im Garten. Als-
bald fiel ich nieder, umfaßte mit meinen Armen
die Gebuͤſche, kuͤßte die Roſen auf ihren rothen
Mund, und ergoß mich in Thraͤnen. Als ich mich
eine Zeit in dieſer Entzuͤckung verloren hatte,
kamen zwei Maͤdchen durch die Baumgaͤnge, die
eine aͤlter, die andre von meinen Jahren. Ich
erwachte aus meiner Betaͤubung, um mich einer
hoͤheren Trunkenheit hinzugeben. Mein Auge fiel
auf die juͤngere, und mir war in dieſem Augen-
blicke, als wuͤrde ich von allen meinen unbekann-
ten Schmerzen geheilt. Man nahm mich im Hauſe
auf, die Eltern der beiden Kinder erkundigten ſich
nach meinem Namen, und ſchickten meinem Vater
Bothſchaft, der mich gegen Abend ſelber wieder
abholte.
Von dieſem Tage hatte der ungewiſſe Lauf
meines Lebens eine beſtimmte Richtung gewonnen,
meine Gedanken eilten immer wieder nach dem
Schloſſe und dem Maͤdchen zuruͤck, denn hier ſchien
mir die Heimath aller meiner Wuͤnſche. Ich ver-
gaß meiner gewohnten Freuden, ich vernachlaͤſſigte
meine Geſpielen, und beſuchte oft den Garten, das
Schloß und das Maͤdchen. Bald war ich dort
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