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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Erste Abtheilung.
um mich wie der Geist der Natur über Berg und
Thal auszugießen, und mich in Gras und Bü-
schen allseitig zu regen und die Fülle des Seegens
einzuathmen. Hatte mich am Tage die freie Land-
schaft entzückt, so ängstigten mich in der Nacht
dunkle Traumbilder und stellten sich grauenhaft vor
mich hin, als wenn sie mir den Weg zu allem Le-
ben versperren wollten. Vor allen ließ ein Traum
einen unauslöschlichen Eindruck in meinem Ge-
müthe zurück, ob ich gleich nicht die Bilder deut-
lich wieder in meine Phantasie zurück rufen konnte.
Mir dünkte, als wäre ein großes Gewühl in den
Gassen, ich vernahm undeutliche Gespräche durch-
einander, darauf ging ich, es war dunkle Nacht,
in das Haus meiner Eltern, und nur mein Vater
war zugegen und krank. Am nächsten Morgen
fiel ich meinen Eltern um den Hals, umarmte sie
inbrünstig und drückte sie an meine Brust, als wenn
uns eine feindliche Gewalt von einander reißen
wollte. Sollt' ich dich verlieren? sprach ich zum
theuren Vater, o wie unglücklich und einsam wäre
ich ohne dich in dieser Welt! Sie trösteten mich,
aber es gelang ihnen nicht, das dunkle Bild aus
meinem Gedächtnisse zu entfernen.

Ich ward älter, indem ich mich stets von andern
Knaben meines Alters entfernt hielt. Oft streifte
ich einsam durch die Felder, und so geschah es an
einem Morgen, daß ich meinen Weg verlor, und
in einem dunkeln Walde, um Hülfe rufend, herum
irrte. Nachdem ich so lange Zeit vergeblich nach
einem Wege gesucht hatte, stand ich endlich plöz-

Erſte Abtheilung.
um mich wie der Geiſt der Natur uͤber Berg und
Thal auszugießen, und mich in Gras und Buͤ-
ſchen allſeitig zu regen und die Fuͤlle des Seegens
einzuathmen. Hatte mich am Tage die freie Land-
ſchaft entzuͤckt, ſo aͤngſtigten mich in der Nacht
dunkle Traumbilder und ſtellten ſich grauenhaft vor
mich hin, als wenn ſie mir den Weg zu allem Le-
ben verſperren wollten. Vor allen ließ ein Traum
einen unausloͤſchlichen Eindruck in meinem Ge-
muͤthe zuruͤck, ob ich gleich nicht die Bilder deut-
lich wieder in meine Phantaſie zuruͤck rufen konnte.
Mir duͤnkte, als waͤre ein großes Gewuͤhl in den
Gaſſen, ich vernahm undeutliche Geſpraͤche durch-
einander, darauf ging ich, es war dunkle Nacht,
in das Haus meiner Eltern, und nur mein Vater
war zugegen und krank. Am naͤchſten Morgen
fiel ich meinen Eltern um den Hals, umarmte ſie
inbruͤnſtig und druͤckte ſie an meine Bruſt, als wenn
uns eine feindliche Gewalt von einander reißen
wollte. Sollt' ich dich verlieren? ſprach ich zum
theuren Vater, o wie ungluͤcklich und einſam waͤre
ich ohne dich in dieſer Welt! Sie troͤſteten mich,
aber es gelang ihnen nicht, das dunkle Bild aus
meinem Gedaͤchtniſſe zu entfernen.

Ich ward aͤlter, indem ich mich ſtets von andern
Knaben meines Alters entfernt hielt. Oft ſtreifte
ich einſam durch die Felder, und ſo geſchah es an
einem Morgen, daß ich meinen Weg verlor, und
in einem dunkeln Walde, um Huͤlfe rufend, herum
irrte. Nachdem ich ſo lange Zeit vergeblich nach
einem Wege geſucht hatte, ſtand ich endlich ploͤz-

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[226/0237] Erſte Abtheilung. um mich wie der Geiſt der Natur uͤber Berg und Thal auszugießen, und mich in Gras und Buͤ- ſchen allſeitig zu regen und die Fuͤlle des Seegens einzuathmen. Hatte mich am Tage die freie Land- ſchaft entzuͤckt, ſo aͤngſtigten mich in der Nacht dunkle Traumbilder und ſtellten ſich grauenhaft vor mich hin, als wenn ſie mir den Weg zu allem Le- ben verſperren wollten. Vor allen ließ ein Traum einen unausloͤſchlichen Eindruck in meinem Ge- muͤthe zuruͤck, ob ich gleich nicht die Bilder deut- lich wieder in meine Phantaſie zuruͤck rufen konnte. Mir duͤnkte, als waͤre ein großes Gewuͤhl in den Gaſſen, ich vernahm undeutliche Geſpraͤche durch- einander, darauf ging ich, es war dunkle Nacht, in das Haus meiner Eltern, und nur mein Vater war zugegen und krank. Am naͤchſten Morgen fiel ich meinen Eltern um den Hals, umarmte ſie inbruͤnſtig und druͤckte ſie an meine Bruſt, als wenn uns eine feindliche Gewalt von einander reißen wollte. Sollt' ich dich verlieren? ſprach ich zum theuren Vater, o wie ungluͤcklich und einſam waͤre ich ohne dich in dieſer Welt! Sie troͤſteten mich, aber es gelang ihnen nicht, das dunkle Bild aus meinem Gedaͤchtniſſe zu entfernen. Ich ward aͤlter, indem ich mich ſtets von andern Knaben meines Alters entfernt hielt. Oft ſtreifte ich einſam durch die Felder, und ſo geſchah es an einem Morgen, daß ich meinen Weg verlor, und in einem dunkeln Walde, um Huͤlfe rufend, herum irrte. Nachdem ich ſo lange Zeit vergeblich nach einem Wege geſucht hatte, ſtand ich endlich ploͤz-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/237>, abgerufen am 23.11.2024.