Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Der blonde Eckbert.
davon erzählen hörtest; er durfte seiner Frau
wegen diese Tochter nicht bei sich erziehn lassen,
denn sie war von einem andern Weibe. --

Eckbert lag wahnsinnig und verscheidend auf
dem Boden; dumpf und verworren hörte er die
Alte sprechen, den Hund bellen, und den Vogel
sein Lied wiederholen.



Nach einer Pause sagte Clara: Sie sehn,
lieber Anton, daß uns alle jenen Thränen eines
heimlichen Grauens in den Augen stehen, und
ich denke, Sie haben großentheils das Verspre-
chen Ihres Phantasus erfüllt. Aber erlauben
Sie mir zu fragen: ist diese Erzählung Ihre
eigene Erfindung, oder eine nachgeahmte?

Ich darf sie, antwortete Anton, wohl für
meine Erfindung ausgeben, da ich mich nicht
erinnere, eine ähnliche Geschichte anderswo ge-
lesen zu haben, auch denke ich, ist es in der
Aufgabe begriffen gewesen, daß nur selbst erson-
nene Mährchen vorgetragen werden sollen, we-
nigstens habe ich es so verstanden, und ich hoffe,
daß auch alle meine Freunde meinem Beispiele
heute folgen werden.

Versprich dies nicht so im Allgemeinen,
wandte Friedrich ein.

Wollte man freilich, fuhr Anton fort, ge-
nau erzählen, aus welchen Erinnerungen der

I. [ 13 ]

Der blonde Eckbert.
davon erzaͤhlen hoͤrteſt; er durfte ſeiner Frau
wegen dieſe Tochter nicht bei ſich erziehn laſſen,
denn ſie war von einem andern Weibe. —

Eckbert lag wahnſinnig und verſcheidend auf
dem Boden; dumpf und verworren hoͤrte er die
Alte ſprechen, den Hund bellen, und den Vogel
ſein Lied wiederholen.



Nach einer Pauſe ſagte Clara: Sie ſehn,
lieber Anton, daß uns alle jenen Thraͤnen eines
heimlichen Grauens in den Augen ſtehen, und
ich denke, Sie haben großentheils das Verſpre-
chen Ihres Phantaſus erfuͤllt. Aber erlauben
Sie mir zu fragen: iſt dieſe Erzaͤhlung Ihre
eigene Erfindung, oder eine nachgeahmte?

Ich darf ſie, antwortete Anton, wohl fuͤr
meine Erfindung ausgeben, da ich mich nicht
erinnere, eine aͤhnliche Geſchichte anderswo ge-
leſen zu haben, auch denke ich, iſt es in der
Aufgabe begriffen geweſen, daß nur ſelbſt erſon-
nene Maͤhrchen vorgetragen werden ſollen, we-
nigſtens habe ich es ſo verſtanden, und ich hoffe,
daß auch alle meine Freunde meinem Beiſpiele
heute folgen werden.

Verſprich dies nicht ſo im Allgemeinen,
wandte Friedrich ein.

Wollte man freilich, fuhr Anton fort, ge-
nau erzaͤhlen, aus welchen Erinnerungen der

I. [ 13 ]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0204" n="193"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Der blonde Eckbert</hi>.</fw><lb/>
davon erza&#x0364;hlen ho&#x0364;rte&#x017F;t; er durfte &#x017F;einer Frau<lb/>
wegen die&#x017F;e Tochter nicht bei &#x017F;ich erziehn la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
denn &#x017F;ie war von einem andern Weibe. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Eckbert lag wahn&#x017F;innig und ver&#x017F;cheidend auf<lb/>
dem Boden; dumpf und verworren ho&#x0364;rte er die<lb/>
Alte &#x017F;prechen, den Hund bellen, und den Vogel<lb/>
&#x017F;ein Lied wiederholen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>Nach einer Pau&#x017F;e &#x017F;agte Clara: Sie &#x017F;ehn,<lb/>
lieber Anton, daß uns alle jenen Thra&#x0364;nen eines<lb/>
heimlichen Grauens in den Augen &#x017F;tehen, und<lb/>
ich denke, Sie haben großentheils das Ver&#x017F;pre-<lb/>
chen Ihres Phanta&#x017F;us erfu&#x0364;llt. Aber erlauben<lb/>
Sie mir zu fragen: i&#x017F;t die&#x017F;e Erza&#x0364;hlung Ihre<lb/>
eigene Erfindung, oder eine nachgeahmte?</p><lb/>
          <p>Ich darf &#x017F;ie, antwortete Anton, wohl fu&#x0364;r<lb/>
meine Erfindung ausgeben, da ich mich nicht<lb/>
erinnere, eine a&#x0364;hnliche Ge&#x017F;chichte anderswo ge-<lb/>
le&#x017F;en zu haben, auch denke ich, i&#x017F;t es in der<lb/>
Aufgabe begriffen gewe&#x017F;en, daß nur &#x017F;elb&#x017F;t er&#x017F;on-<lb/>
nene Ma&#x0364;hrchen vorgetragen werden &#x017F;ollen, we-<lb/>
nig&#x017F;tens habe ich es &#x017F;o ver&#x017F;tanden, und ich hoffe,<lb/>
daß auch alle meine Freunde meinem Bei&#x017F;piele<lb/>
heute folgen werden.</p><lb/>
          <p>Ver&#x017F;prich dies nicht &#x017F;o im Allgemeinen,<lb/>
wandte Friedrich ein.</p><lb/>
          <p>Wollte man freilich, fuhr Anton fort, ge-<lb/>
nau erza&#x0364;hlen, aus welchen Erinnerungen der<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">I. [ 13 ]</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[193/0204] Der blonde Eckbert. davon erzaͤhlen hoͤrteſt; er durfte ſeiner Frau wegen dieſe Tochter nicht bei ſich erziehn laſſen, denn ſie war von einem andern Weibe. — Eckbert lag wahnſinnig und verſcheidend auf dem Boden; dumpf und verworren hoͤrte er die Alte ſprechen, den Hund bellen, und den Vogel ſein Lied wiederholen. Nach einer Pauſe ſagte Clara: Sie ſehn, lieber Anton, daß uns alle jenen Thraͤnen eines heimlichen Grauens in den Augen ſtehen, und ich denke, Sie haben großentheils das Verſpre- chen Ihres Phantaſus erfuͤllt. Aber erlauben Sie mir zu fragen: iſt dieſe Erzaͤhlung Ihre eigene Erfindung, oder eine nachgeahmte? Ich darf ſie, antwortete Anton, wohl fuͤr meine Erfindung ausgeben, da ich mich nicht erinnere, eine aͤhnliche Geſchichte anderswo ge- leſen zu haben, auch denke ich, iſt es in der Aufgabe begriffen geweſen, daß nur ſelbſt erſon- nene Maͤhrchen vorgetragen werden ſollen, we- nigſtens habe ich es ſo verſtanden, und ich hoffe, daß auch alle meine Freunde meinem Beiſpiele heute folgen werden. Verſprich dies nicht ſo im Allgemeinen, wandte Friedrich ein. Wollte man freilich, fuhr Anton fort, ge- nau erzaͤhlen, aus welchen Erinnerungen der I. [ 13 ]

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/204
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/204>, abgerufen am 24.11.2024.