Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite
Erste Abtheilung.

Mir geschieht kein Leid,
Hier wohnt kein Neid,
Von neuem mich freut
Waldeinsamkeit.

Jetzt war es um das Bewußtseyn, um die
Sinne Eckberts geschehn; er konnte sich nicht aus
dem Räthsel heraus finden, ob er jetzt träume,
oder ehemals von einem Weibe Bertha geträumt
habe; das Wunderbarste vermischte sich mit dem
Gewöhnlichsten, die Welt um ihn her war verzau-
bert, und er keines Gedankens, keiner Erinnerung
mächtig.

Eine krummgebückte Alte schlich hustend mit einer
Krücke den Hügel heran. Bringst du mir meinen
Vogel? Meine Perlen? Meinen Hund? schrie sie
ihm entgegen. Siehe, das Unrecht bestraft sich
selbst: Niemand als ich war dein Freund Walther,
dein Hugo. --

Gott im Himmel! sagte Eckbert stille vor sich
hin, -- in welcher entsetzlichen Einsamkeit hab' ich
dann mein Leben hingebracht! --

Und Bertha war deine Schwester.

Eckbert fiel zu Boden.

Warum verließ sie mich tückisch? Sonst hätte
sich alles gut und schön geendet, ihre Probezeit
war ja schon vorüber. Sie war die Tochter eines
Ritters, die er bei einem Hirten erziehn ließ, die
Tochter deines Vaters.

Warum hab' ich diesen schrecklichen Gedanken
immer geahndet? rief Eckbert aus.

Weil du in früher Jugend deinen Vater einst

davon
Erſte Abtheilung.

Mir geſchieht kein Leid,
Hier wohnt kein Neid,
Von neuem mich freut
Waldeinſamkeit.

Jetzt war es um das Bewußtſeyn, um die
Sinne Eckberts geſchehn; er konnte ſich nicht aus
dem Raͤthſel heraus finden, ob er jetzt traͤume,
oder ehemals von einem Weibe Bertha getraͤumt
habe; das Wunderbarſte vermiſchte ſich mit dem
Gewoͤhnlichſten, die Welt um ihn her war verzau-
bert, und er keines Gedankens, keiner Erinnerung
maͤchtig.

Eine krummgebuͤckte Alte ſchlich huſtend mit einer
Kruͤcke den Huͤgel heran. Bringſt du mir meinen
Vogel? Meine Perlen? Meinen Hund? ſchrie ſie
ihm entgegen. Siehe, das Unrecht beſtraft ſich
ſelbſt: Niemand als ich war dein Freund Walther,
dein Hugo. —

Gott im Himmel! ſagte Eckbert ſtille vor ſich
hin, — in welcher entſetzlichen Einſamkeit hab' ich
dann mein Leben hingebracht! —

Und Bertha war deine Schweſter.

Eckbert fiel zu Boden.

Warum verließ ſie mich tuͤckiſch? Sonſt haͤtte
ſich alles gut und ſchoͤn geendet, ihre Probezeit
war ja ſchon voruͤber. Sie war die Tochter eines
Ritters, die er bei einem Hirten erziehn ließ, die
Tochter deines Vaters.

Warum hab' ich dieſen ſchrecklichen Gedanken
immer geahndet? rief Eckbert aus.

Weil du in fruͤher Jugend deinen Vater einſt

davon
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0203" n="192"/>
            <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Er&#x017F;te Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
            <l>Mir ge&#x017F;chieht kein Leid,</l><lb/>
            <l>Hier wohnt kein Neid,</l><lb/>
            <l>Von neuem mich freut</l><lb/>
            <l>Waldein&#x017F;amkeit.</l>
          </lg><lb/>
          <p>Jetzt war es um das Bewußt&#x017F;eyn, um die<lb/>
Sinne Eckberts ge&#x017F;chehn; er konnte &#x017F;ich nicht aus<lb/>
dem Ra&#x0364;th&#x017F;el heraus finden, ob er jetzt tra&#x0364;ume,<lb/>
oder ehemals von einem Weibe Bertha getra&#x0364;umt<lb/>
habe; das Wunderbar&#x017F;te vermi&#x017F;chte &#x017F;ich mit dem<lb/>
Gewo&#x0364;hnlich&#x017F;ten, die Welt um ihn her war verzau-<lb/>
bert, und er keines Gedankens, keiner Erinnerung<lb/>
ma&#x0364;chtig.</p><lb/>
          <p>Eine krummgebu&#x0364;ckte Alte &#x017F;chlich hu&#x017F;tend mit einer<lb/>
Kru&#x0364;cke den Hu&#x0364;gel heran. Bring&#x017F;t du mir meinen<lb/>
Vogel? Meine Perlen? Meinen Hund? &#x017F;chrie &#x017F;ie<lb/>
ihm entgegen. Siehe, das Unrecht be&#x017F;traft &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t: Niemand als ich war dein Freund Walther,<lb/>
dein Hugo. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Gott im Himmel! &#x017F;agte Eckbert &#x017F;tille vor &#x017F;ich<lb/>
hin, &#x2014; in welcher ent&#x017F;etzlichen Ein&#x017F;amkeit hab' ich<lb/>
dann mein Leben hingebracht! &#x2014;</p><lb/>
          <p>Und Bertha war deine Schwe&#x017F;ter.</p><lb/>
          <p>Eckbert fiel zu Boden.</p><lb/>
          <p>Warum verließ &#x017F;ie mich tu&#x0364;cki&#x017F;ch? Son&#x017F;t ha&#x0364;tte<lb/>
&#x017F;ich alles gut und &#x017F;cho&#x0364;n geendet, ihre Probezeit<lb/>
war ja &#x017F;chon voru&#x0364;ber. Sie war die Tochter eines<lb/>
Ritters, die er bei einem Hirten erziehn ließ, die<lb/>
Tochter deines Vaters.</p><lb/>
          <p>Warum hab' ich die&#x017F;en &#x017F;chrecklichen Gedanken<lb/>
immer geahndet? rief Eckbert aus.</p><lb/>
          <p>Weil du in fru&#x0364;her Jugend deinen Vater ein&#x017F;t<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">davon</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[192/0203] Erſte Abtheilung. Mir geſchieht kein Leid, Hier wohnt kein Neid, Von neuem mich freut Waldeinſamkeit. Jetzt war es um das Bewußtſeyn, um die Sinne Eckberts geſchehn; er konnte ſich nicht aus dem Raͤthſel heraus finden, ob er jetzt traͤume, oder ehemals von einem Weibe Bertha getraͤumt habe; das Wunderbarſte vermiſchte ſich mit dem Gewoͤhnlichſten, die Welt um ihn her war verzau- bert, und er keines Gedankens, keiner Erinnerung maͤchtig. Eine krummgebuͤckte Alte ſchlich huſtend mit einer Kruͤcke den Huͤgel heran. Bringſt du mir meinen Vogel? Meine Perlen? Meinen Hund? ſchrie ſie ihm entgegen. Siehe, das Unrecht beſtraft ſich ſelbſt: Niemand als ich war dein Freund Walther, dein Hugo. — Gott im Himmel! ſagte Eckbert ſtille vor ſich hin, — in welcher entſetzlichen Einſamkeit hab' ich dann mein Leben hingebracht! — Und Bertha war deine Schweſter. Eckbert fiel zu Boden. Warum verließ ſie mich tuͤckiſch? Sonſt haͤtte ſich alles gut und ſchoͤn geendet, ihre Probezeit war ja ſchon voruͤber. Sie war die Tochter eines Ritters, die er bei einem Hirten erziehn ließ, die Tochter deines Vaters. Warum hab' ich dieſen ſchrecklichen Gedanken immer geahndet? rief Eckbert aus. Weil du in fruͤher Jugend deinen Vater einſt davon

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/203
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/203>, abgerufen am 25.11.2024.