Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Erste Abtheilung.
eigentlich zu wissen, wie er nun nach allen meinen
Bemühungen aussah: aber ich konnte ein rechtes
Mitleid mit mir selber haben, wenn er mich nicht
wieder liebte; dann sagte ich lange rührende Re-
den in Gedanken her, zuweilen auch wohl laut,
um ihn nur zu gewinnen. -- Ihr lächelt! wir sind
jetzt freilich alle über diese Zeit der Jugend hinüber.

Es war mir jetzt lieber, wenn ich allein war,
denn alsdann war ich selbst die Gebieterin im
Hause. Der Hund liebte mich sehr und that alles
was ich wollte, der Vogel antwortete mir mit sei-
nem Liede auf alle meine Fragen, mein Rädchen
drehte sich immer munter, und so fühlte ich im
Grunde nie einen Wunsch nach Veränderung. Wenn
die Alte von ihren langen Wanderungen zurück
kam, lobte sie meine Aufmerksamkeit, sie sagte, daß
ihre Haushaltung, seit ich dazu gehöre, weit ordent-
licher geführt werde, sie freute sich über mein
Wachsthum und mein gesundes Aussehn, kurz, sie
ging ganz mit mir wie mit einer Tochter um.

Du bist brav, mein Kind! sagte sie einst zu
mir mit einem schnarrenden Tone; wenn Du so fort
fährst, wird es dir auch immer gut gehn: aber nie
gedeiht es, wenn man von der rechten Bahn
abweicht, die Strafe folgt nach, wenn auch noch
so spät. -- Indem sie das sagte, achtete ich eben
nicht sehr darauf, denn ich war in allen meinen
Bewegungen und meinem ganzen Wesen sehr leb-
haft; aber in der Nacht fiel es mir wieder ein,
und ich konnte nicht begreifen, was sie damit hatte
sagen wollen. Ich überlegte alle Worte genau,

Erſte Abtheilung.
eigentlich zu wiſſen, wie er nun nach allen meinen
Bemuͤhungen ausſah: aber ich konnte ein rechtes
Mitleid mit mir ſelber haben, wenn er mich nicht
wieder liebte; dann ſagte ich lange ruͤhrende Re-
den in Gedanken her, zuweilen auch wohl laut,
um ihn nur zu gewinnen. — Ihr laͤchelt! wir ſind
jetzt freilich alle uͤber dieſe Zeit der Jugend hinuͤber.

Es war mir jetzt lieber, wenn ich allein war,
denn alsdann war ich ſelbſt die Gebieterin im
Hauſe. Der Hund liebte mich ſehr und that alles
was ich wollte, der Vogel antwortete mir mit ſei-
nem Liede auf alle meine Fragen, mein Raͤdchen
drehte ſich immer munter, und ſo fuͤhlte ich im
Grunde nie einen Wunſch nach Veraͤnderung. Wenn
die Alte von ihren langen Wanderungen zuruͤck
kam, lobte ſie meine Aufmerkſamkeit, ſie ſagte, daß
ihre Haushaltung, ſeit ich dazu gehoͤre, weit ordent-
licher gefuͤhrt werde, ſie freute ſich uͤber mein
Wachsthum und mein geſundes Ausſehn, kurz, ſie
ging ganz mit mir wie mit einer Tochter um.

Du biſt brav, mein Kind! ſagte ſie einſt zu
mir mit einem ſchnarrenden Tone; wenn Du ſo fort
faͤhrſt, wird es dir auch immer gut gehn: aber nie
gedeiht es, wenn man von der rechten Bahn
abweicht, die Strafe folgt nach, wenn auch noch
ſo ſpaͤt. — Indem ſie das ſagte, achtete ich eben
nicht ſehr darauf, denn ich war in allen meinen
Bewegungen und meinem ganzen Weſen ſehr leb-
haft; aber in der Nacht fiel es mir wieder ein,
und ich konnte nicht begreifen, was ſie damit hatte
ſagen wollen. Ich uͤberlegte alle Worte genau,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0189" n="178"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Er&#x017F;te Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
eigentlich zu wi&#x017F;&#x017F;en, wie er nun nach allen meinen<lb/>
Bemu&#x0364;hungen aus&#x017F;ah: aber ich konnte ein rechtes<lb/>
Mitleid mit mir &#x017F;elber haben, wenn er mich nicht<lb/>
wieder liebte; dann &#x017F;agte ich lange ru&#x0364;hrende Re-<lb/>
den in Gedanken her, zuweilen auch wohl laut,<lb/>
um ihn nur zu gewinnen. &#x2014; Ihr la&#x0364;chelt! wir &#x017F;ind<lb/>
jetzt freilich alle u&#x0364;ber die&#x017F;e Zeit der Jugend hinu&#x0364;ber.</p><lb/>
          <p>Es war mir jetzt lieber, wenn ich allein war,<lb/>
denn alsdann war ich &#x017F;elb&#x017F;t die Gebieterin im<lb/>
Hau&#x017F;e. Der Hund liebte mich &#x017F;ehr und that alles<lb/>
was ich wollte, der Vogel antwortete mir mit &#x017F;ei-<lb/>
nem Liede auf alle meine Fragen, mein Ra&#x0364;dchen<lb/>
drehte &#x017F;ich immer munter, und &#x017F;o fu&#x0364;hlte ich im<lb/>
Grunde nie einen Wun&#x017F;ch nach Vera&#x0364;nderung. Wenn<lb/>
die Alte von ihren langen Wanderungen zuru&#x0364;ck<lb/>
kam, lobte &#x017F;ie meine Aufmerk&#x017F;amkeit, &#x017F;ie &#x017F;agte, daß<lb/>
ihre Haushaltung, &#x017F;eit ich dazu geho&#x0364;re, weit ordent-<lb/>
licher gefu&#x0364;hrt werde, &#x017F;ie freute &#x017F;ich u&#x0364;ber mein<lb/>
Wachsthum und mein ge&#x017F;undes Aus&#x017F;ehn, kurz, &#x017F;ie<lb/>
ging ganz mit mir wie mit einer Tochter um.</p><lb/>
          <p>Du bi&#x017F;t brav, mein Kind! &#x017F;agte &#x017F;ie ein&#x017F;t zu<lb/>
mir mit einem &#x017F;chnarrenden Tone; wenn Du &#x017F;o fort<lb/>
fa&#x0364;hr&#x017F;t, wird es dir auch immer gut gehn: aber nie<lb/>
gedeiht es, wenn man von der rechten Bahn<lb/>
abweicht, die Strafe folgt nach, wenn auch noch<lb/>
&#x017F;o &#x017F;pa&#x0364;t. &#x2014; Indem &#x017F;ie das &#x017F;agte, achtete ich eben<lb/>
nicht &#x017F;ehr darauf, denn ich war in allen meinen<lb/>
Bewegungen und meinem ganzen We&#x017F;en &#x017F;ehr leb-<lb/>
haft; aber in der Nacht fiel es mir wieder ein,<lb/>
und ich konnte nicht begreifen, was &#x017F;ie damit hatte<lb/>
&#x017F;agen wollen. Ich u&#x0364;berlegte alle Worte genau,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[178/0189] Erſte Abtheilung. eigentlich zu wiſſen, wie er nun nach allen meinen Bemuͤhungen ausſah: aber ich konnte ein rechtes Mitleid mit mir ſelber haben, wenn er mich nicht wieder liebte; dann ſagte ich lange ruͤhrende Re- den in Gedanken her, zuweilen auch wohl laut, um ihn nur zu gewinnen. — Ihr laͤchelt! wir ſind jetzt freilich alle uͤber dieſe Zeit der Jugend hinuͤber. Es war mir jetzt lieber, wenn ich allein war, denn alsdann war ich ſelbſt die Gebieterin im Hauſe. Der Hund liebte mich ſehr und that alles was ich wollte, der Vogel antwortete mir mit ſei- nem Liede auf alle meine Fragen, mein Raͤdchen drehte ſich immer munter, und ſo fuͤhlte ich im Grunde nie einen Wunſch nach Veraͤnderung. Wenn die Alte von ihren langen Wanderungen zuruͤck kam, lobte ſie meine Aufmerkſamkeit, ſie ſagte, daß ihre Haushaltung, ſeit ich dazu gehoͤre, weit ordent- licher gefuͤhrt werde, ſie freute ſich uͤber mein Wachsthum und mein geſundes Ausſehn, kurz, ſie ging ganz mit mir wie mit einer Tochter um. Du biſt brav, mein Kind! ſagte ſie einſt zu mir mit einem ſchnarrenden Tone; wenn Du ſo fort faͤhrſt, wird es dir auch immer gut gehn: aber nie gedeiht es, wenn man von der rechten Bahn abweicht, die Strafe folgt nach, wenn auch noch ſo ſpaͤt. — Indem ſie das ſagte, achtete ich eben nicht ſehr darauf, denn ich war in allen meinen Bewegungen und meinem ganzen Weſen ſehr leb- haft; aber in der Nacht fiel es mir wieder ein, und ich konnte nicht begreifen, was ſie damit hatte ſagen wollen. Ich uͤberlegte alle Worte genau,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/189
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/189>, abgerufen am 03.05.2024.