Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Phantasus.

Da fragt ich: Kind, wer sind die beide?
Der Knabe sprach: im schwarzen Kleide
Der ist der Schreck, von Mährchen alten
Beschreibt er gern die Schaurgestalten;
Das Mägdlein da im lichten Kleid
Ist meine liebe Albernheit,
Sie ängstet sich und um so gerner
Hört sie den andern reden ferner,
Sie fürchtet sich vor dem Erschrecken,
Läßt sich doch spielend davon necken,
Sie lächelt, und vor Schauder weint
Ihr Lachen, das in Thränen scheint,
Sie freut sich und wird voraus bleich,
So spielt sie mit dem Geisterreich,
Wenn Schreck ihr sagt: nun kommt es, jetzt,
Was dich recht durch und durch entsetzt!
Dann bittet sie: laß es vorüber, --
Nein, spricht sie dann, erzähl' es, Lieber:
Dann rauscht der schwarze Tannenhain,
Dann weinen Felsenbäche drein,
Sie meint sie stirbt vor Angst und Schmerz
Und drückt dem Schreck sich mehr ans Herz.

Da sah ich einen Kleinen gaukeln
Und sich in allen Blumen schaukeln,
Ein herzigs Kind, das auf und nieder
Im Tanze schwang die zarten Glieder,
Bald klettert' es in Epheuranken
Und ließ sich kühn vom Winde schwanken,
Bald stand oben am Fels der Lose
Und duckte sich in eine Rose,
So eilig, daß der Stengel knickte

Phantaſus.

Da fragt ich: Kind, wer ſind die beide?
Der Knabe ſprach: im ſchwarzen Kleide
Der iſt der Schreck, von Maͤhrchen alten
Beſchreibt er gern die Schaurgeſtalten;
Das Maͤgdlein da im lichten Kleid
Iſt meine liebe Albernheit,
Sie aͤngſtet ſich und um ſo gerner
Hoͤrt ſie den andern reden ferner,
Sie fuͤrchtet ſich vor dem Erſchrecken,
Laͤßt ſich doch ſpielend davon necken,
Sie laͤchelt, und vor Schauder weint
Ihr Lachen, das in Thraͤnen ſcheint,
Sie freut ſich und wird voraus bleich,
So ſpielt ſie mit dem Geiſterreich,
Wenn Schreck ihr ſagt: nun kommt es, jetzt,
Was dich recht durch und durch entſetzt!
Dann bittet ſie: laß es voruͤber, —
Nein, ſpricht ſie dann, erzaͤhl' es, Lieber:
Dann rauſcht der ſchwarze Tannenhain,
Dann weinen Felſenbaͤche drein,
Sie meint ſie ſtirbt vor Angſt und Schmerz
Und druͤckt dem Schreck ſich mehr ans Herz.

Da ſah ich einen Kleinen gaukeln
Und ſich in allen Blumen ſchaukeln,
Ein herzigs Kind, das auf und nieder
Im Tanze ſchwang die zarten Glieder,
Bald klettert' es in Epheuranken
Und ließ ſich kuͤhn vom Winde ſchwanken,
Bald ſtand oben am Fels der Loſe
Und duckte ſich in eine Roſe,
So eilig, daß der Stengel knickte
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="6">
              <pb facs="#f0170" n="159"/>
              <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Phanta&#x017F;us</hi>.</fw><lb/>
              <l>Da fragt ich: Kind, wer &#x017F;ind die beide?</l><lb/>
              <l>Der Knabe &#x017F;prach: im &#x017F;chwarzen Kleide</l><lb/>
              <l>Der i&#x017F;t der Schreck, von Ma&#x0364;hrchen alten</l><lb/>
              <l>Be&#x017F;chreibt er gern die Schaurge&#x017F;talten;</l><lb/>
              <l>Das Ma&#x0364;gdlein da im lichten Kleid</l><lb/>
              <l>I&#x017F;t meine liebe Albernheit,</l><lb/>
              <l>Sie a&#x0364;ng&#x017F;tet &#x017F;ich und um &#x017F;o gerner</l><lb/>
              <l>Ho&#x0364;rt &#x017F;ie den andern reden ferner,</l><lb/>
              <l>Sie fu&#x0364;rchtet &#x017F;ich vor dem Er&#x017F;chrecken,</l><lb/>
              <l>La&#x0364;ßt &#x017F;ich doch &#x017F;pielend davon necken,</l><lb/>
              <l>Sie la&#x0364;chelt, und vor Schauder weint</l><lb/>
              <l>Ihr Lachen, das in Thra&#x0364;nen &#x017F;cheint,</l><lb/>
              <l>Sie freut &#x017F;ich und wird voraus bleich,</l><lb/>
              <l>So &#x017F;pielt &#x017F;ie mit dem Gei&#x017F;terreich,</l><lb/>
              <l>Wenn Schreck ihr &#x017F;agt: nun kommt es, jetzt,</l><lb/>
              <l>Was dich recht durch und durch ent&#x017F;etzt!</l><lb/>
              <l>Dann bittet &#x017F;ie: laß es voru&#x0364;ber, &#x2014;</l><lb/>
              <l>Nein, &#x017F;pricht &#x017F;ie dann, erza&#x0364;hl' es, Lieber:</l><lb/>
              <l>Dann rau&#x017F;cht der &#x017F;chwarze Tannenhain,</l><lb/>
              <l>Dann weinen Fel&#x017F;enba&#x0364;che drein,</l><lb/>
              <l>Sie meint &#x017F;ie &#x017F;tirbt vor Ang&#x017F;t und Schmerz</l><lb/>
              <l>Und dru&#x0364;ckt dem Schreck &#x017F;ich mehr ans Herz.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="7">
              <l>Da &#x017F;ah ich einen Kleinen gaukeln</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;ich in allen Blumen &#x017F;chaukeln,</l><lb/>
              <l>Ein herzigs Kind, das auf und nieder</l><lb/>
              <l>Im Tanze &#x017F;chwang die zarten Glieder,</l><lb/>
              <l>Bald klettert' es in Epheuranken</l><lb/>
              <l>Und ließ &#x017F;ich ku&#x0364;hn vom Winde &#x017F;chwanken,</l><lb/>
              <l>Bald &#x017F;tand oben am Fels der Lo&#x017F;e</l><lb/>
              <l>Und duckte &#x017F;ich in eine Ro&#x017F;e,</l><lb/>
              <l>So eilig, daß der Stengel knickte</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[159/0170] Phantaſus. Da fragt ich: Kind, wer ſind die beide? Der Knabe ſprach: im ſchwarzen Kleide Der iſt der Schreck, von Maͤhrchen alten Beſchreibt er gern die Schaurgeſtalten; Das Maͤgdlein da im lichten Kleid Iſt meine liebe Albernheit, Sie aͤngſtet ſich und um ſo gerner Hoͤrt ſie den andern reden ferner, Sie fuͤrchtet ſich vor dem Erſchrecken, Laͤßt ſich doch ſpielend davon necken, Sie laͤchelt, und vor Schauder weint Ihr Lachen, das in Thraͤnen ſcheint, Sie freut ſich und wird voraus bleich, So ſpielt ſie mit dem Geiſterreich, Wenn Schreck ihr ſagt: nun kommt es, jetzt, Was dich recht durch und durch entſetzt! Dann bittet ſie: laß es voruͤber, — Nein, ſpricht ſie dann, erzaͤhl' es, Lieber: Dann rauſcht der ſchwarze Tannenhain, Dann weinen Felſenbaͤche drein, Sie meint ſie ſtirbt vor Angſt und Schmerz Und druͤckt dem Schreck ſich mehr ans Herz. Da ſah ich einen Kleinen gaukeln Und ſich in allen Blumen ſchaukeln, Ein herzigs Kind, das auf und nieder Im Tanze ſchwang die zarten Glieder, Bald klettert' es in Epheuranken Und ließ ſich kuͤhn vom Winde ſchwanken, Bald ſtand oben am Fels der Loſe Und duckte ſich in eine Roſe, So eilig, daß der Stengel knickte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/170
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/170>, abgerufen am 24.11.2024.