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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Erste Abtheilung.
wir nur das Wort Mährchen nennen hören.

Die witzigen, sagte Clara, sind mir von je
verhaßt gewesen. So habe ich den Hamilton-
schen nie viel Geschmack abgewinnen können, so
berühmt sie auch sind; die dahlenden im Feen-
Cabinet zogen mich vor Jahren an, um mich
nachher desto gründlicher zu ermüden und zurück
zu stoßen, und unserm Musäus bin ich oft recht
böse gewesen, daß er mit seinem spaßhaften Ton,
mit seiner Manier, den Leser zu necken und ihm
queer in seine Empfindung und Täuschung hin-
ein zu fallen, oft die schönsten Erfindungen und
Sagen nur entstellt und fast verdorben hat. Da-
gegen finde ich die Arabischen Mährchen, auch
die lustigen, äußerst ergötzlich.

Es scheint, sagte Anton, Sie verlangen
einen still fortschreitenden Ton der Erzählung,
eine gewisse Unschuld der Darstellung in diesen
Gedichten, die wie sanft phantasirende Musik
ohne Lärm und Geräusch die Seele fesselt, und
ich glaube, daß ich mit Ihnen derselben Mei-
nung bin. Darum ist das Göthische Mährchen
ein Meisterstück zu nennen.

Gewiß, sagte Rosalie, insofern wir mit ei-
nem Gedicht zufrieden sein können, das keinen
Inhalt hat. Ein Werk der Phantasie soll zwar
keinen bittern Nachgeschmack zurück lassen, aber
doch ein Nachgenießen und Nachtönen, dieses
verfliegt und zersplittert aber noch mehr als ein
Traum, und ich habe deshalb das herrliche

Erſte Abtheilung.
wir nur das Wort Maͤhrchen nennen hoͤren.

Die witzigen, ſagte Clara, ſind mir von je
verhaßt geweſen. So habe ich den Hamilton-
ſchen nie viel Geſchmack abgewinnen koͤnnen, ſo
beruͤhmt ſie auch ſind; die dahlenden im Feen-
Cabinet zogen mich vor Jahren an, um mich
nachher deſto gruͤndlicher zu ermuͤden und zuruͤck
zu ſtoßen, und unſerm Muſaͤus bin ich oft recht
boͤſe geweſen, daß er mit ſeinem ſpaßhaften Ton,
mit ſeiner Manier, den Leſer zu necken und ihm
queer in ſeine Empfindung und Taͤuſchung hin-
ein zu fallen, oft die ſchoͤnſten Erfindungen und
Sagen nur entſtellt und faſt verdorben hat. Da-
gegen finde ich die Arabiſchen Maͤhrchen, auch
die luſtigen, aͤußerſt ergoͤtzlich.

Es ſcheint, ſagte Anton, Sie verlangen
einen ſtill fortſchreitenden Ton der Erzaͤhlung,
eine gewiſſe Unſchuld der Darſtellung in dieſen
Gedichten, die wie ſanft phantaſirende Muſik
ohne Laͤrm und Geraͤuſch die Seele feſſelt, und
ich glaube, daß ich mit Ihnen derſelben Mei-
nung bin. Darum iſt das Goͤthiſche Maͤhrchen
ein Meiſterſtuͤck zu nennen.

Gewiß, ſagte Roſalie, inſofern wir mit ei-
nem Gedicht zufrieden ſein koͤnnen, das keinen
Inhalt hat. Ein Werk der Phantaſie ſoll zwar
keinen bittern Nachgeſchmack zuruͤck laſſen, aber
doch ein Nachgenießen und Nachtoͤnen, dieſes
verfliegt und zerſplittert aber noch mehr als ein
Traum, und ich habe deshalb das herrliche

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[138/0149] Erſte Abtheilung. wir nur das Wort Maͤhrchen nennen hoͤren. Die witzigen, ſagte Clara, ſind mir von je verhaßt geweſen. So habe ich den Hamilton- ſchen nie viel Geſchmack abgewinnen koͤnnen, ſo beruͤhmt ſie auch ſind; die dahlenden im Feen- Cabinet zogen mich vor Jahren an, um mich nachher deſto gruͤndlicher zu ermuͤden und zuruͤck zu ſtoßen, und unſerm Muſaͤus bin ich oft recht boͤſe geweſen, daß er mit ſeinem ſpaßhaften Ton, mit ſeiner Manier, den Leſer zu necken und ihm queer in ſeine Empfindung und Taͤuſchung hin- ein zu fallen, oft die ſchoͤnſten Erfindungen und Sagen nur entſtellt und faſt verdorben hat. Da- gegen finde ich die Arabiſchen Maͤhrchen, auch die luſtigen, aͤußerſt ergoͤtzlich. Es ſcheint, ſagte Anton, Sie verlangen einen ſtill fortſchreitenden Ton der Erzaͤhlung, eine gewiſſe Unſchuld der Darſtellung in dieſen Gedichten, die wie ſanft phantaſirende Muſik ohne Laͤrm und Geraͤuſch die Seele feſſelt, und ich glaube, daß ich mit Ihnen derſelben Mei- nung bin. Darum iſt das Goͤthiſche Maͤhrchen ein Meiſterſtuͤck zu nennen. Gewiß, ſagte Roſalie, inſofern wir mit ei- nem Gedicht zufrieden ſein koͤnnen, das keinen Inhalt hat. Ein Werk der Phantaſie ſoll zwar keinen bittern Nachgeſchmack zuruͤck laſſen, aber doch ein Nachgenießen und Nachtoͤnen, dieſes verfliegt und zerſplittert aber noch mehr als ein Traum, und ich habe deshalb das herrliche

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/149>, abgerufen am 22.11.2024.