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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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beschwur mich auf meine Seeligkeit bedacht zu
seyn. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte und
ward endlich gerührt. Ich weinte laut, und
mir war zu Muthe, wie einem Kinde. -- Wil-
ly's Bruder konnte sich über dessen Tod gar nicht
zufrieden geben, er heulte laut und die Bedien-
ten weinten mit ihm. Das ganze Zimmer er-
tönte vom Klaggeschrei, Eduard war nicht zu-
gegen.

Aber bald versiegten meine Thränen, ein kalter
Haß ging durch mein Herz und durch meine
ganze Brust, ich sah mich mit gleichgültigem
Auge um, ob nicht in jedem Winkel eine Furie
stünde, mit Schlangen in den Haaren. Ich
wünschte sie alle herbey, und ich hätte mich vor
keiner entsetzt. -- Ich berechnete jetzt, wie lan-
ge der Schmerz wohl noch in allen diesen Men-
schen kämpfen würde, und es war interessant zu
beobachten, wie nach und nach die gewöhnliche
Trägheit zu jedem zurückkehrte. Sie erschienen
mir nun wie unbeholfene Maschinen, die an
groben Fäden bewegt werden, sie drehen die
verschiedenen Gliedmaßen nach vorgeschriebenen
Regeln, und setzen sich dann wieder in Ruhe.
Keiner schien mir lebendig und ich ging kalt auf

beſchwur mich auf meine Seeligkeit bedacht zu
ſeyn. Ich wußte nicht, was ich ſagen ſollte und
ward endlich geruͤhrt. Ich weinte laut, und
mir war zu Muthe, wie einem Kinde. — Wil-
ly's Bruder konnte ſich uͤber deſſen Tod gar nicht
zufrieden geben, er heulte laut und die Bedien-
ten weinten mit ihm. Das ganze Zimmer er-
toͤnte vom Klaggeſchrei, Eduard war nicht zu-
gegen.

Aber bald verſiegten meine Thraͤnen, ein kalter
Haß ging durch mein Herz und durch meine
ganze Bruſt, ich ſah mich mit gleichguͤltigem
Auge um, ob nicht in jedem Winkel eine Furie
ſtuͤnde, mit Schlangen in den Haaren. Ich
wuͤnſchte ſie alle herbey, und ich haͤtte mich vor
keiner entſetzt. — Ich berechnete jetzt, wie lan-
ge der Schmerz wohl noch in allen dieſen Men-
ſchen kaͤmpfen wuͤrde, und es war intereſſant zu
beobachten, wie nach und nach die gewoͤhnliche
Traͤgheit zu jedem zuruͤckkehrte. Sie erſchienen
mir nun wie unbeholfene Maſchinen, die an
groben Faͤden bewegt werden, ſie drehen die
verſchiedenen Gliedmaßen nach vorgeſchriebenen
Regeln, und ſetzen ſich dann wieder in Ruhe.
Keiner ſchien mir lebendig und ich ging kalt auf

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[86/0093] beſchwur mich auf meine Seeligkeit bedacht zu ſeyn. Ich wußte nicht, was ich ſagen ſollte und ward endlich geruͤhrt. Ich weinte laut, und mir war zu Muthe, wie einem Kinde. — Wil- ly's Bruder konnte ſich uͤber deſſen Tod gar nicht zufrieden geben, er heulte laut und die Bedien- ten weinten mit ihm. Das ganze Zimmer er- toͤnte vom Klaggeſchrei, Eduard war nicht zu- gegen. Aber bald verſiegten meine Thraͤnen, ein kalter Haß ging durch mein Herz und durch meine ganze Bruſt, ich ſah mich mit gleichguͤltigem Auge um, ob nicht in jedem Winkel eine Furie ſtuͤnde, mit Schlangen in den Haaren. Ich wuͤnſchte ſie alle herbey, und ich haͤtte mich vor keiner entſetzt. — Ich berechnete jetzt, wie lan- ge der Schmerz wohl noch in allen dieſen Men- ſchen kaͤmpfen wuͤrde, und es war intereſſant zu beobachten, wie nach und nach die gewoͤhnliche Traͤgheit zu jedem zuruͤckkehrte. Sie erſchienen mir nun wie unbeholfene Maſchinen, die an groben Faͤden bewegt werden, ſie drehen die verſchiedenen Gliedmaßen nach vorgeſchriebenen Regeln, und ſetzen ſich dann wieder in Ruhe. Keiner ſchien mir lebendig und ich ging kalt auf

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/93>, abgerufen am 30.04.2024.