Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

seine Absichten zu fragen, und um die Gründe
seiner Verkleidung oder Niederträchtigkeit.

Dies ist also der Mensch, indem mein
Geist den Bruder ehemals zu entdecken glaubte;
diesem wollt' ich mein ganzes Leben wi[d]men?

Er hat sich außerordentlich verändert, er
ist bleich und entstellt, sein Auge unruhig, sein
Blick starr, ganz das Bild eines Menschen der
mit sich selber zerfallen ist.

Willy's Tod ist ruchtbar geworden, und ich
muß ihn noch in dieser Nacht fortzuschaffen
suchen, um ihn den Gerichten und dem Gefäng-
nisse zu entziehen.

Wär' es zu verwundern wenn ich in dieser
Situation alle Besinnung verlöhre? -- Ach ich
sagte Ihnen ich wäre ruhiger, ich bin blos noch
verwirrter, und das hat meinen scharfen Schmerz
etwas abgestumpft.

So ist meine Jugend wiedergekehrt, --
so sind meine Träume in Erfüllung gegangen!
Er sollte hier nahe bey mir in Waterhall woh-
nen, wir wollten uns fast täglich sehen, wir
wollten nur Ein Leben genießen, und gleichsam
mit Einer Seele haushalten, und nun! -- War-
um hat das Schicksal alles so umgeändert, und

mir

ſeine Abſichten zu fragen, und um die Gruͤnde
ſeiner Verkleidung oder Niedertraͤchtigkeit.

Dies iſt alſo der Menſch, indem mein
Geiſt den Bruder ehemals zu entdecken glaubte;
dieſem wollt' ich mein ganzes Leben wi[d]men?

Er hat ſich außerordentlich veraͤndert, er
iſt bleich und entſtellt, ſein Auge unruhig, ſein
Blick ſtarr, ganz das Bild eines Menſchen der
mit ſich ſelber zerfallen iſt.

Willy's Tod iſt ruchtbar geworden, und ich
muß ihn noch in dieſer Nacht fortzuſchaffen
ſuchen, um ihn den Gerichten und dem Gefaͤng-
niſſe zu entziehen.

Waͤr' es zu verwundern wenn ich in dieſer
Situation alle Beſinnung verloͤhre? — Ach ich
ſagte Ihnen ich waͤre ruhiger, ich bin blos noch
verwirrter, und das hat meinen ſcharfen Schmerz
etwas abgeſtumpft.

So iſt meine Jugend wiedergekehrt, —
ſo ſind meine Traͤume in Erfuͤllung gegangen!
Er ſollte hier nahe bey mir in Waterhall woh-
nen, wir wollten uns faſt taͤglich ſehen, wir
wollten nur Ein Leben genießen, und gleichſam
mit Einer Seele haushalten, und nun! — War-
um hat das Schickſal alles ſo umgeaͤndert, und

mir
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0071" n="64"/>
&#x017F;eine Ab&#x017F;ichten zu fragen, und um die Gru&#x0364;nde<lb/>
&#x017F;einer Verkleidung oder Niedertra&#x0364;chtigkeit.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Dies</hi> i&#x017F;t al&#x017F;o der Men&#x017F;ch, indem mein<lb/>
Gei&#x017F;t den Bruder ehemals zu entdecken glaubte;<lb/>
die&#x017F;em wollt' ich mein ganzes Leben wi<supplied>d</supplied>men?</p><lb/>
          <p>Er hat &#x017F;ich außerordentlich vera&#x0364;ndert, er<lb/>
i&#x017F;t bleich und ent&#x017F;tellt, &#x017F;ein Auge unruhig, &#x017F;ein<lb/>
Blick &#x017F;tarr, ganz das Bild eines Men&#x017F;chen der<lb/>
mit &#x017F;ich &#x017F;elber zerfallen i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Willy's Tod i&#x017F;t ruchtbar geworden, und ich<lb/>
muß ihn noch in die&#x017F;er Nacht fortzu&#x017F;chaffen<lb/>
&#x017F;uchen, um ihn den Gerichten und dem Gefa&#x0364;ng-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e zu entziehen.</p><lb/>
          <p>Wa&#x0364;r' es zu verwundern wenn ich in die&#x017F;er<lb/>
Situation alle Be&#x017F;innung <choice><sic>berlo&#x0364;hre</sic><corr>verlo&#x0364;hre</corr></choice>? &#x2014; Ach ich<lb/>
&#x017F;agte Ihnen ich wa&#x0364;re ruhiger, ich bin blos noch<lb/>
verwirrter, und das hat meinen &#x017F;charfen Schmerz<lb/>
etwas abge&#x017F;tumpft.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">So</hi> i&#x017F;t meine Jugend wiedergekehrt, &#x2014;<lb/><hi rendition="#g">&#x017F;o</hi> &#x017F;ind meine Tra&#x0364;ume in Erfu&#x0364;llung gegangen!<lb/>
Er &#x017F;ollte hier nahe bey mir in Waterhall woh-<lb/>
nen, wir wollten uns fa&#x017F;t ta&#x0364;glich &#x017F;ehen, wir<lb/>
wollten nur Ein Leben genießen, und gleich&#x017F;am<lb/>
mit Einer Seele haushalten, und <hi rendition="#g">nun</hi>! &#x2014; War-<lb/>
um hat das Schick&#x017F;al alles &#x017F;o umgea&#x0364;ndert, und<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">mir</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[64/0071] ſeine Abſichten zu fragen, und um die Gruͤnde ſeiner Verkleidung oder Niedertraͤchtigkeit. Dies iſt alſo der Menſch, indem mein Geiſt den Bruder ehemals zu entdecken glaubte; dieſem wollt' ich mein ganzes Leben widmen? Er hat ſich außerordentlich veraͤndert, er iſt bleich und entſtellt, ſein Auge unruhig, ſein Blick ſtarr, ganz das Bild eines Menſchen der mit ſich ſelber zerfallen iſt. Willy's Tod iſt ruchtbar geworden, und ich muß ihn noch in dieſer Nacht fortzuſchaffen ſuchen, um ihn den Gerichten und dem Gefaͤng- niſſe zu entziehen. Waͤr' es zu verwundern wenn ich in dieſer Situation alle Beſinnung verloͤhre? — Ach ich ſagte Ihnen ich waͤre ruhiger, ich bin blos noch verwirrter, und das hat meinen ſcharfen Schmerz etwas abgeſtumpft. So iſt meine Jugend wiedergekehrt, — ſo ſind meine Traͤume in Erfuͤllung gegangen! Er ſollte hier nahe bey mir in Waterhall woh- nen, wir wollten uns faſt taͤglich ſehen, wir wollten nur Ein Leben genießen, und gleichſam mit Einer Seele haushalten, und nun! — War- um hat das Schickſal alles ſo umgeaͤndert, und mir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/71
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/71>, abgerufen am 01.05.2024.