hatte. Nichts lehrt uns so sehr die Menschen verachten, als die Einsamkeit, jede Armseelig keit dieses Geschlechts erscheint noch ärmer, wenn man sich im einsamen Forste ihrer erin nert, indem ein Gewitter rabenschwarze Schat- ten hinunterwirft, und der Donner ungewiß über die zitternden Baumwipfel geht.
Ich suchte endlich Hülfe bey Menschen, die sonst meine vertrauten Freunde gewesen waren, und denen ich aus schlecht angebrachter Gutherzigkeit sonst tausend Dienste, selbst mit meinem Schaden, geleistet hatte. Keiner kannte mich wieder, einige wurden sogar auf meine Unkosten witzig, ich sah jetzt ein, daß Achtung und Freundschaft nur so lange dauern können, als jeder der sogenannten Freunde ohngefähr gleich viel Geld in der Tasche hat; sie [v]erhalten sich wie Wageschaalen, die nur im Gleichge- wichte stehn, wenn in jeder von ihnen ein glei- ches Gewicht liegt.
Mitten im volkreichen Paris lebte ich in der größten Einsamkeit, mein letztes Geld war ausgegeben und eine Krankheit überfiel mich. Ich mußte zum Schmählichsten meine Zuflucht nehmen; auf mein inständiges, wiederholtes
Bitten
hatte. Nichts lehrt uns ſo ſehr die Menſchen verachten, als die Einſamkeit, jede Armſeelig keit dieſes Geſchlechts erſcheint noch aͤrmer, wenn man ſich im einſamen Forſte ihrer erin nert, indem ein Gewitter rabenſchwarze Schat- ten hinunterwirft, und der Donner ungewiß uͤber die zitternden Baumwipfel geht.
Ich ſuchte endlich Huͤlfe bey Menſchen, die ſonſt meine vertrauten Freunde geweſen waren, und denen ich aus ſchlecht angebrachter Gutherzigkeit ſonſt tauſend Dienſte, ſelbſt mit meinem Schaden, geleiſtet hatte. Keiner kannte mich wieder, einige wurden ſogar auf meine Unkoſten witzig, ich ſah jetzt ein, daß Achtung und Freundſchaft nur ſo lange dauern koͤnnen, als jeder der ſogenannten Freunde ohngefaͤhr gleich viel Geld in der Taſche hat; ſie [v]erhalten ſich wie Wageſchaalen, die nur im Gleichge- wichte ſtehn, wenn in jeder von ihnen ein glei- ches Gewicht liegt.
Mitten im volkreichen Paris lebte ich in der groͤßten Einſamkeit, mein letztes Geld war ausgegeben und eine Krankheit uͤberfiel mich. Ich mußte zum Schmaͤhlichſten meine Zuflucht nehmen; auf mein inſtaͤndiges, wiederholtes
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hatte. Nichts lehrt uns ſo ſehr die Menſchen
verachten, als die Einſamkeit, jede Armſeelig
keit dieſes Geſchlechts erſcheint noch aͤrmer,
wenn man ſich im einſamen Forſte ihrer erin
nert, indem ein Gewitter rabenſchwarze Schat-
ten hinunterwirft, und der Donner ungewiß
uͤber die zitternden Baumwipfel geht.
Ich ſuchte endlich Huͤlfe bey Menſchen,
die ſonſt meine vertrauten Freunde geweſen
waren, und denen ich aus ſchlecht angebrachter
Gutherzigkeit ſonſt tauſend Dienſte, ſelbſt mit
meinem Schaden, geleiſtet hatte. Keiner kannte
mich wieder, einige wurden ſogar auf meine
Unkoſten witzig, ich ſah jetzt ein, daß Achtung
und Freundſchaft nur ſo lange dauern koͤnnen,
als jeder der ſogenannten Freunde ohngefaͤhr
gleich viel Geld in der Taſche hat; ſie verhalten
ſich wie Wageſchaalen, die nur im Gleichge-
wichte ſtehn, wenn in jeder von ihnen ein glei-
ches Gewicht liegt.
Mitten im volkreichen Paris lebte ich in
der groͤßten Einſamkeit, mein letztes Geld war
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Ich mußte zum Schmaͤhlichſten meine Zuflucht
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/439>, abgerufen am 22.11.2024.
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