ich mich vorher ohne alle Ursache verehrt hatte; ich hielt es am Ende nicht der Mühe werth, an mich selbst zu denken, es war mir lächerlich, daß ich mich verbessern wollte, die Welt und ich selber ward mir gleichgültig, und so schlief ich von einem Tage zum andern hinüber, ohne Wünsche und ohne Reue, in mir selber ausge- storben und ohne Lebenskraft, neue Blüthen zu treiben.
Denn Blüthen sind gewöhnlich nur das, was wir schon Früchte nennen, und die Früchte selbst sind für uns nur deswegen ein Bild der Vollendung, weil sie unsern Bedürfnissen zu statten kommen: in ihnen liegt der Stamm, der in der Zukunft wieder Blüthen und Früchte bringen würde. --
Plötzlich erwachten in mir ganz alte und vergessene Träume. Bilder von Ländern, Land- karten, die ich in meiner Kindheit betrachtet hatte, gingen meiner Phantasie vorüber, ich hörte entfernte Ströme rauschen und sah einen fremden Himmel über mir. Eine unbeschreib- liche Lust, die Menschen und die wohlbekann- ten Gegenden zu verlassen, ergriff mich, ich ahndete soviel Neues, und in dem Neuen so-
Lovell. 3r Bd. D d
ich mich vorher ohne alle Urſache verehrt hatte; ich hielt es am Ende nicht der Muͤhe werth, an mich ſelbſt zu denken, es war mir laͤcherlich, daß ich mich verbeſſern wollte, die Welt und ich ſelber ward mir gleichguͤltig, und ſo ſchlief ich von einem Tage zum andern hinuͤber, ohne Wuͤnſche und ohne Reue, in mir ſelber ausge- ſtorben und ohne Lebenskraft, neue Bluͤthen zu treiben.
Denn Bluͤthen ſind gewoͤhnlich nur das, was wir ſchon Fruͤchte nennen, und die Fruͤchte ſelbſt ſind fuͤr uns nur deswegen ein Bild der Vollendung, weil ſie unſern Beduͤrfniſſen zu ſtatten kommen: in ihnen liegt der Stamm, der in der Zukunft wieder Bluͤthen und Fruͤchte bringen wuͤrde. —
Ploͤtzlich erwachten in mir ganz alte und vergeſſene Traͤume. Bilder von Laͤndern, Land- karten, die ich in meiner Kindheit betrachtet hatte, gingen meiner Phantaſie voruͤber, ich hoͤrte entfernte Stroͤme rauſchen und ſah einen fremden Himmel uͤber mir. Eine unbeſchreib- liche Luſt, die Menſchen und die wohlbekann- ten Gegenden zu verlaſſen, ergriff mich, ich ahndete ſoviel Neues, und in dem Neuen ſo-
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ich mich vorher ohne alle Urſache verehrt hatte;
ich hielt es am Ende nicht der Muͤhe werth,
an mich ſelbſt zu denken, es war mir laͤcherlich,
daß ich mich verbeſſern wollte, die Welt und
ich ſelber ward mir gleichguͤltig, und ſo ſchlief
ich von einem Tage zum andern hinuͤber, ohne
Wuͤnſche und ohne Reue, in mir ſelber ausge-
ſtorben und ohne Lebenskraft, neue Bluͤthen zu
treiben.
Denn Bluͤthen ſind gewoͤhnlich nur das,
was wir ſchon Fruͤchte nennen, und die Fruͤchte
ſelbſt ſind fuͤr uns nur deswegen ein Bild der
Vollendung, weil ſie unſern Beduͤrfniſſen zu
ſtatten kommen: in ihnen liegt der Stamm, der
in der Zukunft wieder Bluͤthen und Fruͤchte
bringen wuͤrde. —
Ploͤtzlich erwachten in mir ganz alte und
vergeſſene Traͤume. Bilder von Laͤndern, Land-
karten, die ich in meiner Kindheit betrachtet
hatte, gingen meiner Phantaſie voruͤber, ich
hoͤrte entfernte Stroͤme rauſchen und ſah einen
fremden Himmel uͤber mir. Eine unbeſchreib-
liche Luſt, die Menſchen und die wohlbekann-
ten Gegenden zu verlaſſen, ergriff mich, ich
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/424>, abgerufen am 22.11.2024.
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