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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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geht grausam mit dem armen Menschen um;
erst stellt sie ihn als ein schönes und liebens-
würdiges Kunstwerk hin, und dann arbeitet sie
so lange an ihm, bis er endlich selbst eine Sa-
tyre auf seinen ehemaligen Zustand wird. --
Ich bin ganz erhitzt, verzeihen Sie mir meine
umständliche, poetische Erzählung.

Jetzt kam eine Zeit, die ich nie vergessen
werde, die mir immer ein Räthsel bleiben wird.
So widrig mir anfangs die elenden Witzeleyen,
die unausstehlichen Liebkosungen dieser gemeinen
Menschen gewesen waren, so gewöhnte ich mich
doch am Ende daran, ja sie gefielen mir sogar.
Ich horchte während dem Singen auf ihren un-
züchtigen Witz, und widerholte mir in Gedan-
ken die Einfälle, die ich gehört hatte. Mein
Blut war in einer beständigen Erhitzung, ich
lebte wie in einer unaufhörlichen Trunkenheit.
Meine Bücher waren mir jetzt zuwider, sie ka-
men mir lächerlich vor: die schöne Natur zog
meine Blicke und meine Aufmerksamkeit nicht
mehr auf sich, sie kam mir vor wie eine strenge,
langweilige Sittenpredigerinn. Meine Phanta-
sie ward in gemeinen und unangenehmen Bil-
dern einheimisch, alle meine vorigen Vorstel-

geht grauſam mit dem armen Menſchen um;
erſt ſtellt ſie ihn als ein ſchoͤnes und liebens-
wuͤrdiges Kunſtwerk hin, und dann arbeitet ſie
ſo lange an ihm, bis er endlich ſelbſt eine Sa-
tyre auf ſeinen ehemaligen Zuſtand wird. —
Ich bin ganz erhitzt, verzeihen Sie mir meine
umſtaͤndliche, poetiſche Erzaͤhlung.

Jetzt kam eine Zeit, die ich nie vergeſſen
werde, die mir immer ein Raͤthſel bleiben wird.
So widrig mir anfangs die elenden Witzeleyen,
die unausſtehlichen Liebkoſungen dieſer gemeinen
Menſchen geweſen waren, ſo gewoͤhnte ich mich
doch am Ende daran, ja ſie gefielen mir ſogar.
Ich horchte waͤhrend dem Singen auf ihren un-
zuͤchtigen Witz, und widerholte mir in Gedan-
ken die Einfaͤlle, die ich gehoͤrt hatte. Mein
Blut war in einer beſtaͤndigen Erhitzung, ich
lebte wie in einer unaufhoͤrlichen Trunkenheit.
Meine Buͤcher waren mir jetzt zuwider, ſie ka-
men mir laͤcherlich vor: die ſchoͤne Natur zog
meine Blicke und meine Aufmerkſamkeit nicht
mehr auf ſich, ſie kam mir vor wie eine ſtrenge,
langweilige Sittenpredigerinn. Meine Phanta-
ſie ward in gemeinen und unangenehmen Bil-
dern einheimiſch, alle meine vorigen Vorſtel-

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[335/0342] geht grauſam mit dem armen Menſchen um; erſt ſtellt ſie ihn als ein ſchoͤnes und liebens- wuͤrdiges Kunſtwerk hin, und dann arbeitet ſie ſo lange an ihm, bis er endlich ſelbſt eine Sa- tyre auf ſeinen ehemaligen Zuſtand wird. — Ich bin ganz erhitzt, verzeihen Sie mir meine umſtaͤndliche, poetiſche Erzaͤhlung. Jetzt kam eine Zeit, die ich nie vergeſſen werde, die mir immer ein Raͤthſel bleiben wird. So widrig mir anfangs die elenden Witzeleyen, die unausſtehlichen Liebkoſungen dieſer gemeinen Menſchen geweſen waren, ſo gewoͤhnte ich mich doch am Ende daran, ja ſie gefielen mir ſogar. Ich horchte waͤhrend dem Singen auf ihren un- zuͤchtigen Witz, und widerholte mir in Gedan- ken die Einfaͤlle, die ich gehoͤrt hatte. Mein Blut war in einer beſtaͤndigen Erhitzung, ich lebte wie in einer unaufhoͤrlichen Trunkenheit. Meine Buͤcher waren mir jetzt zuwider, ſie ka- men mir laͤcherlich vor: die ſchoͤne Natur zog meine Blicke und meine Aufmerkſamkeit nicht mehr auf ſich, ſie kam mir vor wie eine ſtrenge, langweilige Sittenpredigerinn. Meine Phanta- ſie ward in gemeinen und unangenehmen Bil- dern einheimiſch, alle meine vorigen Vorſtel-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/342>, abgerufen am 19.05.2024.