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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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einen hohen Schwung genommen, ich war
innerlich zufrieden, und ersetzte mir durch erha-
bene Träume den Verlust der wirklichen Welt.

Spät in der Nacht las ich oft noch die
Schilderung der großen Richardsonschen Men-
schen, mich erquickte die Welt voll erhabener
Geister, die mich dann umgab, und ich war
überzeugt, daß die Menschen mich nur
nicht genug kennten, um sich mit mir auszu-
söhnen. Dann war ich über alles Ungemach
getröstet, dann war ich über alle Leiden beru-
higt, die mich einst noch treffen könnten. Wel-
chen Eindruck machten aber dann wieder die
gemeinen Gesichter auf mich, von denen ich
durch meinen Gesang ein Almosen erbetteln
mußte: ihre plumpen Späße, ihre groben Zwei-
deutigkeiten, die ich ertragen mußte, thaten
mir dann innerlich im Herzen wehe. Ich war
gezwungen, einer kleinen Münze wegen jede
Demüthigung zu ertragen. Warum hängt der
innere Mensch so sehr von der groben äußern
Natur ab!

Ach, Lovell, was mögen Sie von mir den-
ken, daß ich jetzt noch so sprechen kann? --
Nicht wahr, Sie möchten lächeln? Die Zeit

einen hohen Schwung genommen, ich war
innerlich zufrieden, und erſetzte mir durch erha-
bene Traͤume den Verluſt der wirklichen Welt.

Spaͤt in der Nacht las ich oft noch die
Schilderung der großen Richardſonſchen Men-
ſchen, mich erquickte die Welt voll erhabener
Geiſter, die mich dann umgab, und ich war
uͤberzeugt, daß die Menſchen mich nur
nicht genug kennten, um ſich mit mir auszu-
ſoͤhnen. Dann war ich uͤber alles Ungemach
getroͤſtet, dann war ich uͤber alle Leiden beru-
higt, die mich einſt noch treffen koͤnnten. Wel-
chen Eindruck machten aber dann wieder die
gemeinen Geſichter auf mich, von denen ich
durch meinen Geſang ein Almoſen erbetteln
mußte: ihre plumpen Spaͤße, ihre groben Zwei-
deutigkeiten, die ich ertragen mußte, thaten
mir dann innerlich im Herzen wehe. Ich war
gezwungen, einer kleinen Muͤnze wegen jede
Demuͤthigung zu ertragen. Warum haͤngt der
innere Menſch ſo ſehr von der groben aͤußern
Natur ab!

Ach, Lovell, was moͤgen Sie von mir den-
ken, daß ich jetzt noch ſo ſprechen kann? —
Nicht wahr, Sie moͤchten laͤcheln? Die Zeit

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[334/0341] einen hohen Schwung genommen, ich war innerlich zufrieden, und erſetzte mir durch erha- bene Traͤume den Verluſt der wirklichen Welt. Spaͤt in der Nacht las ich oft noch die Schilderung der großen Richardſonſchen Men- ſchen, mich erquickte die Welt voll erhabener Geiſter, die mich dann umgab, und ich war uͤberzeugt, daß die Menſchen mich nur nicht genug kennten, um ſich mit mir auszu- ſoͤhnen. Dann war ich uͤber alles Ungemach getroͤſtet, dann war ich uͤber alle Leiden beru- higt, die mich einſt noch treffen koͤnnten. Wel- chen Eindruck machten aber dann wieder die gemeinen Geſichter auf mich, von denen ich durch meinen Geſang ein Almoſen erbetteln mußte: ihre plumpen Spaͤße, ihre groben Zwei- deutigkeiten, die ich ertragen mußte, thaten mir dann innerlich im Herzen wehe. Ich war gezwungen, einer kleinen Muͤnze wegen jede Demuͤthigung zu ertragen. Warum haͤngt der innere Menſch ſo ſehr von der groben aͤußern Natur ab! Ach, Lovell, was moͤgen Sie von mir den- ken, daß ich jetzt noch ſo ſprechen kann? — Nicht wahr, Sie moͤchten laͤcheln? Die Zeit

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/341>, abgerufen am 22.11.2024.