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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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Mein Vater fürchtete sich vor Gespenstern, und
sah oft in den Ecken etwas stehn, vor dem er
sich innig entsetzte: er theilte mir diese unbe-
kannte und unbegreifliche Furcht mit, und die
Welt und das menschliche Leben kamen mir
dadurch noch seltsamer vor. -- Bey Tage
saßen wir oft unter einer großen und lärmenden
Gesellschaft von gemeinen Leuten, und ließen
unsre Lieder hören; das Getümmel, die Ver-
schwendung, Unmäßigkeit und die wenige Auf-
merksamkeit auf uns rührte mich ganz außeror-
dentlich; mein Vater tröstete mich dann und
sagte mir, daß dies so die Weise der Menschen
sey, daß daraus das menschliche Leben bestehe.
-- O wie lebhaft und schmerzlich fällt mir heute
alles, alles wieder ein, was ich immer zu ver-
gessen suchte.

Ein paar arme Mädchen gesellten sich zu
mir und manchmal waren wir jugendlich lustig,
und es kam mir dann ordentlich vor, als ge-
hörte ich auch mit zur Welt, ich war dann in
mir selber dreister. -- Wenn ich aber wieder
unter die übrigen Menschen trat, so schlug mich
jeder gute Anzug nieder, jede vorbeyfahrende
Kutsche beschämte mich und ich verachtete mich

Mein Vater fuͤrchtete ſich vor Geſpenſtern, und
ſah oft in den Ecken etwas ſtehn, vor dem er
ſich innig entſetzte: er theilte mir dieſe unbe-
kannte und unbegreifliche Furcht mit, und die
Welt und das menſchliche Leben kamen mir
dadurch noch ſeltſamer vor. — Bey Tage
ſaßen wir oft unter einer großen und laͤrmenden
Geſellſchaft von gemeinen Leuten, und ließen
unſre Lieder hoͤren; das Getuͤmmel, die Ver-
ſchwendung, Unmaͤßigkeit und die wenige Auf-
merkſamkeit auf uns ruͤhrte mich ganz außeror-
dentlich; mein Vater troͤſtete mich dann und
ſagte mir, daß dies ſo die Weiſe der Menſchen
ſey, daß daraus das menſchliche Leben beſtehe.
— O wie lebhaft und ſchmerzlich faͤllt mir heute
alles, alles wieder ein, was ich immer zu ver-
geſſen ſuchte.

Ein paar arme Maͤdchen geſellten ſich zu
mir und manchmal waren wir jugendlich luſtig,
und es kam mir dann ordentlich vor, als ge-
hoͤrte ich auch mit zur Welt, ich war dann in
mir ſelber dreiſter. — Wenn ich aber wieder
unter die uͤbrigen Menſchen trat, ſo ſchlug mich
jeder gute Anzug nieder, jede vorbeyfahrende
Kutſche beſchaͤmte mich und ich verachtete mich

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[332/0339] Mein Vater fuͤrchtete ſich vor Geſpenſtern, und ſah oft in den Ecken etwas ſtehn, vor dem er ſich innig entſetzte: er theilte mir dieſe unbe- kannte und unbegreifliche Furcht mit, und die Welt und das menſchliche Leben kamen mir dadurch noch ſeltſamer vor. — Bey Tage ſaßen wir oft unter einer großen und laͤrmenden Geſellſchaft von gemeinen Leuten, und ließen unſre Lieder hoͤren; das Getuͤmmel, die Ver- ſchwendung, Unmaͤßigkeit und die wenige Auf- merkſamkeit auf uns ruͤhrte mich ganz außeror- dentlich; mein Vater troͤſtete mich dann und ſagte mir, daß dies ſo die Weiſe der Menſchen ſey, daß daraus das menſchliche Leben beſtehe. — O wie lebhaft und ſchmerzlich faͤllt mir heute alles, alles wieder ein, was ich immer zu ver- geſſen ſuchte. Ein paar arme Maͤdchen geſellten ſich zu mir und manchmal waren wir jugendlich luſtig, und es kam mir dann ordentlich vor, als ge- hoͤrte ich auch mit zur Welt, ich war dann in mir ſelber dreiſter. — Wenn ich aber wieder unter die uͤbrigen Menſchen trat, ſo ſchlug mich jeder gute Anzug nieder, jede vorbeyfahrende Kutſche beſchaͤmte mich und ich verachtete mich

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/339>, abgerufen am 22.11.2024.