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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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Als wir uns beyde etwas getröstet und be-
ruhigt hatten, fragte ich sie um ihre Geschichte,
die mir in diesem Augenblicke unendlich interes-
sant war. Es waren ihr aus einem ehemaligen
Leben so viele schöne Fragmente von Unschuld
übrig geblieben, daß ich mich innig sehnte zu
hören, wie sie gerade so tief und immer tiefer
gesunken sey. Sie sah mich lange mit einem
aufmerksamen Blicke an, dann sagte sie, daß
sie meine Neugier befriedigen wolle.

Ich bin noch jetzt gerührt, und ich will ver-
suchen, Ihnen die eigenen Worte des Mädchens
herzusetzen, soviel ich mich ihrer noch erinnern
kann.

Ich bin, fing sie an, in einer Vorstadt
von Paris geboren. Das erste, was ich von
der menschlichen Sprache verstand, war, daß
ich keine Mutter mehr hatte; die erste Empfin-
dung, die ich kennen lernte, war der Hunger.
Mein alter Vater saß, das ist meine frühste
Erinnerung, vor meinem Bette und weinte,
indem er eine Laute in den Händen hielt, auf
der er ein wunderbares Lied spielte. Als ich
nur sprechen konnte, suchte er mich mit diesem
Instrumente bekannt zu machen und mir die
Kunst, es zu spielen und mit Gesang zu beglei-

Als wir uns beyde etwas getroͤſtet und be-
ruhigt hatten, fragte ich ſie um ihre Geſchichte,
die mir in dieſem Augenblicke unendlich intereſ-
ſant war. Es waren ihr aus einem ehemaligen
Leben ſo viele ſchoͤne Fragmente von Unſchuld
uͤbrig geblieben, daß ich mich innig ſehnte zu
hoͤren, wie ſie gerade ſo tief und immer tiefer
geſunken ſey. Sie ſah mich lange mit einem
aufmerkſamen Blicke an, dann ſagte ſie, daß
ſie meine Neugier befriedigen wolle.

Ich bin noch jetzt geruͤhrt, und ich will ver-
ſuchen, Ihnen die eigenen Worte des Maͤdchens
herzuſetzen, ſoviel ich mich ihrer noch erinnern
kann.

Ich bin, fing ſie an, in einer Vorſtadt
von Paris geboren. Das erſte, was ich von
der menſchlichen Sprache verſtand, war, daß
ich keine Mutter mehr hatte; die erſte Empfin-
dung, die ich kennen lernte, war der Hunger.
Mein alter Vater ſaß, das iſt meine fruͤhſte
Erinnerung, vor meinem Bette und weinte,
indem er eine Laute in den Haͤnden hielt, auf
der er ein wunderbares Lied ſpielte. Als ich
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[330/0337] Als wir uns beyde etwas getroͤſtet und be- ruhigt hatten, fragte ich ſie um ihre Geſchichte, die mir in dieſem Augenblicke unendlich intereſ- ſant war. Es waren ihr aus einem ehemaligen Leben ſo viele ſchoͤne Fragmente von Unſchuld uͤbrig geblieben, daß ich mich innig ſehnte zu hoͤren, wie ſie gerade ſo tief und immer tiefer geſunken ſey. Sie ſah mich lange mit einem aufmerkſamen Blicke an, dann ſagte ſie, daß ſie meine Neugier befriedigen wolle. Ich bin noch jetzt geruͤhrt, und ich will ver- ſuchen, Ihnen die eigenen Worte des Maͤdchens herzuſetzen, ſoviel ich mich ihrer noch erinnern kann. Ich bin, fing ſie an, in einer Vorſtadt von Paris geboren. Das erſte, was ich von der menſchlichen Sprache verſtand, war, daß ich keine Mutter mehr hatte; die erſte Empfin- dung, die ich kennen lernte, war der Hunger. Mein alter Vater ſaß, das iſt meine fruͤhſte Erinnerung, vor meinem Bette und weinte, indem er eine Laute in den Haͤnden hielt, auf der er ein wunderbares Lied ſpielte. Als ich nur ſprechen konnte, ſuchte er mich mit dieſem Inſtrumente bekannt zu machen und mir die Kunſt, es zu ſpielen und mit Geſang zu beglei-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/337>, abgerufen am 25.11.2024.