Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite
42.
Amalie an Betty.

Ihre Briefe, liebste Freundinn, sind mir im-
mer sehr willkommne Bothen. Ich finde dar-
inn den natürlichen Menschen und sehr oft
mich selber wieder; Sie sagen mir manchmal
sehr viel, indem Sie gar nichts zu sagen glau-
ben. Bleiben Sie stets in dieser schönen Un-
befangenheit und Sie werden immer glücklich
seyn und Ihren Eduard immer glücklicher ma-
chen, Sie stehn im reizendsten Blüthenalter des
Lebens, genießen Sie Ihrer jugendlichen und
spielenden Phantasie. Ich habe es bisher nie
glauben mögen, daß sich der Mensch innerlich
so verändern könne, daß ihm seine Einbildung
die Welt umher und seine Träume weniger
frisch und bunt abspiegelte: allein so sehr ich
dies auch für eine bloße Redensart hielt, so
habe ich doch jetzt die Erfahrung an mir selber
gemacht. Manches, was mir sonst erhaben
vorkam, fällt mir jetzt als kindisches Spielwerk

42.
Amalie an Betty.

Ihre Briefe, liebſte Freundinn, ſind mir im-
mer ſehr willkommne Bothen. Ich finde dar-
inn den natuͤrlichen Menſchen und ſehr oft
mich ſelber wieder; Sie ſagen mir manchmal
ſehr viel, indem Sie gar nichts zu ſagen glau-
ben. Bleiben Sie ſtets in dieſer ſchoͤnen Un-
befangenheit und Sie werden immer gluͤcklich
ſeyn und Ihren Eduard immer gluͤcklicher ma-
chen, Sie ſtehn im reizendſten Bluͤthenalter des
Lebens, genießen Sie Ihrer jugendlichen und
ſpielenden Phantaſie. Ich habe es bisher nie
glauben moͤgen, daß ſich der Menſch innerlich
ſo veraͤndern koͤnne, daß ihm ſeine Einbildung
die Welt umher und ſeine Traͤume weniger
friſch und bunt abſpiegelte: allein ſo ſehr ich
dies auch fuͤr eine bloße Redensart hielt, ſo
habe ich doch jetzt die Erfahrung an mir ſelber
gemacht. Manches, was mir ſonſt erhaben
vorkam, faͤllt mir jetzt als kindiſches Spielwerk

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0307" n="300"/>
        <div n="2">
          <head>42.<lb/><hi rendition="#g">Amalie an Betty</hi>.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et"><hi rendition="#g">Roger&#x2014;plate</hi>.</hi> </dateline><lb/>
          <p><hi rendition="#in">I</hi>hre Briefe, lieb&#x017F;te Freundinn, &#x017F;ind mir im-<lb/>
mer &#x017F;ehr willkommne Bothen. Ich finde dar-<lb/>
inn den natu&#x0364;rlichen Men&#x017F;chen und &#x017F;ehr oft<lb/>
mich &#x017F;elber wieder; Sie &#x017F;agen mir manchmal<lb/>
&#x017F;ehr viel, indem Sie gar nichts zu &#x017F;agen glau-<lb/>
ben. Bleiben Sie &#x017F;tets in die&#x017F;er &#x017F;cho&#x0364;nen Un-<lb/>
befangenheit und Sie werden immer glu&#x0364;cklich<lb/>
&#x017F;eyn und Ihren Eduard immer glu&#x0364;cklicher ma-<lb/>
chen, Sie &#x017F;tehn im reizend&#x017F;ten Blu&#x0364;thenalter des<lb/>
Lebens, genießen Sie Ihrer jugendlichen und<lb/>
&#x017F;pielenden Phanta&#x017F;ie. Ich habe es bisher nie<lb/>
glauben mo&#x0364;gen, daß &#x017F;ich der Men&#x017F;ch innerlich<lb/>
&#x017F;o vera&#x0364;ndern ko&#x0364;nne, daß ihm &#x017F;eine Einbildung<lb/>
die Welt umher und &#x017F;eine Tra&#x0364;ume weniger<lb/>
fri&#x017F;ch und bunt ab&#x017F;piegelte: allein &#x017F;o &#x017F;ehr ich<lb/>
dies auch fu&#x0364;r eine bloße Redensart hielt, &#x017F;o<lb/>
habe ich doch jetzt die Erfahrung an mir &#x017F;elber<lb/>
gemacht. Manches, was mir &#x017F;on&#x017F;t erhaben<lb/>
vorkam, fa&#x0364;llt mir jetzt als kindi&#x017F;ches Spielwerk<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[300/0307] 42. Amalie an Betty. Roger—plate. Ihre Briefe, liebſte Freundinn, ſind mir im- mer ſehr willkommne Bothen. Ich finde dar- inn den natuͤrlichen Menſchen und ſehr oft mich ſelber wieder; Sie ſagen mir manchmal ſehr viel, indem Sie gar nichts zu ſagen glau- ben. Bleiben Sie ſtets in dieſer ſchoͤnen Un- befangenheit und Sie werden immer gluͤcklich ſeyn und Ihren Eduard immer gluͤcklicher ma- chen, Sie ſtehn im reizendſten Bluͤthenalter des Lebens, genießen Sie Ihrer jugendlichen und ſpielenden Phantaſie. Ich habe es bisher nie glauben moͤgen, daß ſich der Menſch innerlich ſo veraͤndern koͤnne, daß ihm ſeine Einbildung die Welt umher und ſeine Traͤume weniger friſch und bunt abſpiegelte: allein ſo ſehr ich dies auch fuͤr eine bloße Redensart hielt, ſo habe ich doch jetzt die Erfahrung an mir ſelber gemacht. Manches, was mir ſonſt erhaben vorkam, faͤllt mir jetzt als kindiſches Spielwerk

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/307
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/307>, abgerufen am 25.11.2024.