zu Pferde. Es war ein wunderbarer Weg, und ich verirrte mich, ich hatte die große Straße ganz verlassen und befand mich nun auf Neben- wegen, die bald ausgingen, bald dahin zurück- zukehren schienen, woher ich kam. Ich fand nur einzelne Hütten, in denen ich einkehren konnte, und die Kohlenbrenner, oder Holzhau- er, die ich dort traf, wußten den Weg selber nicht, den ich suchte. An einem Morgen, als ich einen steilen Hügel hinaufritt, befiel mich eine seltsame Beklemmung so gewaltig, als wenn sie mein Herz zerdrücken wollte, alles um mich her war mir plötzlich so bekannt, keine dunkle, sondern eine ganz deutliche Erinnerung trat mir entgegen, daß ich an diesem Platze schon gewesen sey. Ein wüster Rauch lag auf den fernen Bergen, und eine grauenvolle Däm- merung machte die tiefen Abgründe noch furcht- barer. Mit gewaltigem Schrecken ergriff mich das Gefühl der Einsamkeit, es war, als wenn mich die Gebirge umher mit entsetzlichen Tönen anredeten; ich ward scheu, als ich die großen und wilden Wolkenmassen so frech am Himmel über mir hängen sah. Ich stand mit dem Pferde still, um über meinen eigenen Zustand
zu Pferde. Es war ein wunderbarer Weg, und ich verirrte mich, ich hatte die große Straße ganz verlaſſen und befand mich nun auf Neben- wegen, die bald ausgingen, bald dahin zuruͤck- zukehren ſchienen, woher ich kam. Ich fand nur einzelne Huͤtten, in denen ich einkehren konnte, und die Kohlenbrenner, oder Holzhau- er, die ich dort traf, wußten den Weg ſelber nicht, den ich ſuchte. An einem Morgen, als ich einen ſteilen Huͤgel hinaufritt, befiel mich eine ſeltſame Beklemmung ſo gewaltig, als wenn ſie mein Herz zerdruͤcken wollte, alles um mich her war mir ploͤtzlich ſo bekannt, keine dunkle, ſondern eine ganz deutliche Erinnerung trat mir entgegen, daß ich an dieſem Platze ſchon geweſen ſey. Ein wuͤſter Rauch lag auf den fernen Bergen, und eine grauenvolle Daͤm- merung machte die tiefen Abgruͤnde noch furcht- barer. Mit gewaltigem Schrecken ergriff mich das Gefuͤhl der Einſamkeit, es war, als wenn mich die Gebirge umher mit entſetzlichen Toͤnen anredeten; ich ward ſcheu, als ich die großen und wilden Wolkenmaſſen ſo frech am Himmel uͤber mir haͤngen ſah. Ich ſtand mit dem Pferde ſtill, um uͤber meinen eigenen Zuſtand
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0286"n="279"/>
zu Pferde. Es war ein wunderbarer Weg, und<lb/>
ich verirrte mich, ich hatte die große Straße<lb/>
ganz verlaſſen und befand mich nun auf Neben-<lb/>
wegen, die bald ausgingen, bald dahin zuruͤck-<lb/>
zukehren ſchienen, woher ich kam. Ich fand<lb/>
nur einzelne Huͤtten, in denen ich einkehren<lb/>
konnte, und die Kohlenbrenner, oder Holzhau-<lb/>
er, die ich dort traf, wußten den Weg ſelber<lb/>
nicht, den ich ſuchte. An einem Morgen, als<lb/>
ich einen ſteilen Huͤgel hinaufritt, befiel mich<lb/>
eine ſeltſame Beklemmung ſo gewaltig, als<lb/>
wenn ſie mein Herz zerdruͤcken wollte, alles um<lb/>
mich her war mir ploͤtzlich ſo bekannt, keine<lb/>
dunkle, ſondern eine ganz deutliche Erinnerung<lb/>
trat mir entgegen, daß ich an dieſem Platze<lb/>ſchon geweſen ſey. Ein wuͤſter Rauch lag auf<lb/>
den fernen Bergen, und eine grauenvolle Daͤm-<lb/>
merung machte die tiefen Abgruͤnde noch furcht-<lb/>
barer. Mit gewaltigem Schrecken ergriff mich<lb/>
das Gefuͤhl der Einſamkeit, es war, als wenn<lb/>
mich die Gebirge umher mit entſetzlichen Toͤnen<lb/>
anredeten; ich ward ſcheu, als ich die großen<lb/>
und wilden Wolkenmaſſen ſo frech am Himmel<lb/>
uͤber mir haͤngen ſah. Ich ſtand mit dem<lb/>
Pferde ſtill, um uͤber meinen eigenen Zuſtand<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[279/0286]
zu Pferde. Es war ein wunderbarer Weg, und
ich verirrte mich, ich hatte die große Straße
ganz verlaſſen und befand mich nun auf Neben-
wegen, die bald ausgingen, bald dahin zuruͤck-
zukehren ſchienen, woher ich kam. Ich fand
nur einzelne Huͤtten, in denen ich einkehren
konnte, und die Kohlenbrenner, oder Holzhau-
er, die ich dort traf, wußten den Weg ſelber
nicht, den ich ſuchte. An einem Morgen, als
ich einen ſteilen Huͤgel hinaufritt, befiel mich
eine ſeltſame Beklemmung ſo gewaltig, als
wenn ſie mein Herz zerdruͤcken wollte, alles um
mich her war mir ploͤtzlich ſo bekannt, keine
dunkle, ſondern eine ganz deutliche Erinnerung
trat mir entgegen, daß ich an dieſem Platze
ſchon geweſen ſey. Ein wuͤſter Rauch lag auf
den fernen Bergen, und eine grauenvolle Daͤm-
merung machte die tiefen Abgruͤnde noch furcht-
barer. Mit gewaltigem Schrecken ergriff mich
das Gefuͤhl der Einſamkeit, es war, als wenn
mich die Gebirge umher mit entſetzlichen Toͤnen
anredeten; ich ward ſcheu, als ich die großen
und wilden Wolkenmaſſen ſo frech am Himmel
uͤber mir haͤngen ſah. Ich ſtand mit dem
Pferde ſtill, um uͤber meinen eigenen Zuſtand
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/286>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.