Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Fuß den Garten betrat, und kamen mir alle
stürmend entgegen. Alle haben mich begrüßt,
und jeder Baum scheint mich zu fragen: wo
ich so lange geblieben sey? Ach Rosa! die Trä-
nen stiegen mir in die Augen, und ich konnte
keine Antwort geben.

Die hohen Bäume in der Allee rauschen
noch in gebrochenen Tönen einige Stellen des
Ossian, den ich ihr immer am Morgen vor-
las; dieselbe Sehnsucht ergrif mich wieder, als
ich oben auf dem Hügel dem Flusse nachsahe,
der sich zwischen dem Felsenufer hindurch win-
det; alles ist mir noch befreundet, nur ich ma-
che allen Gegenständen ein fremdes Gesicht. --
Ach! ich bin ein Träumer, -- ich möchte sa-
gen: Die leblose Natur hat inniger an mir ge-
hangen, als je die Menschen. --

Lange stand ich vor der Linde still, in der
ich meinen und Amaliens Nahmen eingrub.
Nur wenig haben sich die Züge durch den
Wachsthum des Baumes verändert. -- Wie
vieles nahm ich mir damals vor, als ich diese
Züge langsam und bedächtlich dem Baume ein-
schnitt! --

Fuß den Garten betrat, und kamen mir alle
ſtuͤrmend entgegen. Alle haben mich begruͤßt,
und jeder Baum ſcheint mich zu fragen: wo
ich ſo lange geblieben ſey? Ach Roſa! die Traͤ-
nen ſtiegen mir in die Augen, und ich konnte
keine Antwort geben.

Die hohen Baͤume in der Allee rauſchen
noch in gebrochenen Toͤnen einige Stellen des
Oſſian, den ich ihr immer am Morgen vor-
las; dieſelbe Sehnſucht ergrif mich wieder, als
ich oben auf dem Huͤgel dem Fluſſe nachſahe,
der ſich zwiſchen dem Felſenufer hindurch win-
det; alles iſt mir noch befreundet, nur ich ma-
che allen Gegenſtaͤnden ein fremdes Geſicht. —
Ach! ich bin ein Traͤumer, — ich moͤchte ſa-
gen: Die lebloſe Natur hat inniger an mir ge-
hangen, als je die Menſchen. —

Lange ſtand ich vor der Linde ſtill, in der
ich meinen und Amaliens Nahmen eingrub.
Nur wenig haben ſich die Zuͤge durch den
Wachsthum des Baumes veraͤndert. — Wie
vieles nahm ich mir damals vor, als ich dieſe
Zuͤge langſam und bedaͤchtlich dem Baume ein-
ſchnitt! —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0028" n="21"/>
Fuß den Garten betrat, und kamen mir alle<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;rmend entgegen. Alle haben mich begru&#x0364;ßt,<lb/>
und jeder Baum &#x017F;cheint mich zu fragen: wo<lb/>
ich &#x017F;o lange geblieben &#x017F;ey? Ach Ro&#x017F;a! die Tra&#x0364;-<lb/>
nen &#x017F;tiegen mir in die Augen, und ich konnte<lb/>
keine Antwort geben.</p><lb/>
          <p>Die hohen Ba&#x0364;ume in der Allee rau&#x017F;chen<lb/>
noch in gebrochenen To&#x0364;nen einige Stellen des<lb/>
O&#x017F;&#x017F;ian, den ich ihr immer am Morgen vor-<lb/>
las; die&#x017F;elbe Sehn&#x017F;ucht ergrif mich wieder, als<lb/>
ich oben auf dem Hu&#x0364;gel dem Flu&#x017F;&#x017F;e nach&#x017F;ahe,<lb/>
der &#x017F;ich zwi&#x017F;chen dem Fel&#x017F;enufer hindurch win-<lb/>
det; alles i&#x017F;t mir noch befreundet, nur ich ma-<lb/>
che allen Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden ein fremdes Ge&#x017F;icht. &#x2014;<lb/>
Ach! ich bin ein Tra&#x0364;umer, &#x2014; ich mo&#x0364;chte &#x017F;a-<lb/>
gen: Die leblo&#x017F;e Natur hat inniger an mir ge-<lb/>
hangen, als je die Men&#x017F;chen. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Lange &#x017F;tand ich vor der Linde &#x017F;till, in der<lb/>
ich meinen und Amaliens Nahmen eingrub.<lb/>
Nur wenig haben &#x017F;ich die Zu&#x0364;ge durch den<lb/>
Wachsthum des Baumes vera&#x0364;ndert. &#x2014; Wie<lb/>
vieles nahm ich mir damals vor, als ich die&#x017F;e<lb/>
Zu&#x0364;ge lang&#x017F;am und beda&#x0364;chtlich dem Baume ein-<lb/>
&#x017F;chnitt! &#x2014;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0028] Fuß den Garten betrat, und kamen mir alle ſtuͤrmend entgegen. Alle haben mich begruͤßt, und jeder Baum ſcheint mich zu fragen: wo ich ſo lange geblieben ſey? Ach Roſa! die Traͤ- nen ſtiegen mir in die Augen, und ich konnte keine Antwort geben. Die hohen Baͤume in der Allee rauſchen noch in gebrochenen Toͤnen einige Stellen des Oſſian, den ich ihr immer am Morgen vor- las; dieſelbe Sehnſucht ergrif mich wieder, als ich oben auf dem Huͤgel dem Fluſſe nachſahe, der ſich zwiſchen dem Felſenufer hindurch win- det; alles iſt mir noch befreundet, nur ich ma- che allen Gegenſtaͤnden ein fremdes Geſicht. — Ach! ich bin ein Traͤumer, — ich moͤchte ſa- gen: Die lebloſe Natur hat inniger an mir ge- hangen, als je die Menſchen. — Lange ſtand ich vor der Linde ſtill, in der ich meinen und Amaliens Nahmen eingrub. Nur wenig haben ſich die Zuͤge durch den Wachsthum des Baumes veraͤndert. — Wie vieles nahm ich mir damals vor, als ich dieſe Zuͤge langſam und bedaͤchtlich dem Baume ein- ſchnitt! —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/28
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/28>, abgerufen am 28.03.2024.