die Menschen verachten, wenn sie sich mit ihrer Verehrung zu uns drängen, aber jetzt wird es mir schwer. Ich wage es kaum, den Reichen in's Gesicht zu sehn, ich habe eine sklavische Ehrfurcht vor den Vornehmen, und es ist mir, als gehörte ich gar nicht in die Welt hinein, als wäre es nur eine vergönnte Gnade, daß ich die Luft einathme und lebe; ich fühle mich in der niedrigsten Abhängigkeit. -- Dulden Sie es nicht, lieber Rosa, daß Ihr Freund auf diese Art leidet, machen Sie es mir möglich, daß ich Sie und Italien wiedersehe, Sollte es nöthig seyn, so entdecken Sie Andrea meine Lage, und er wird keinen Augenblick zaudern und sich bedenken. Sollt' ich hier noch länger bleiben müssen? Schon leb' ich unter den nie- dern Volksklassen und esse in den Wirthshäu- sern in der Gesellschaft von gemeinen Leuten, die jetzt auf ihre Art eben so höflich gegen mich sind, wie noch vor kurzem die Reichen; wenn ich nun auch das wenige Geld ausgegeben habe, so werden sie mich ebenfalls verachten und lau- fen lassen. Jede Bezeugung der Höflichkeit kränkt mich jetzt innig, weil sie mich an meine ganze Lage erinnert. -- Retten Sie mich, Freund,
die Menſchen verachten, wenn ſie ſich mit ihrer Verehrung zu uns draͤngen, aber jetzt wird es mir ſchwer. Ich wage es kaum, den Reichen in's Geſicht zu ſehn, ich habe eine ſklaviſche Ehrfurcht vor den Vornehmen, und es iſt mir, als gehoͤrte ich gar nicht in die Welt hinein, als waͤre es nur eine vergoͤnnte Gnade, daß ich die Luft einathme und lebe; ich fuͤhle mich in der niedrigſten Abhaͤngigkeit. — Dulden Sie es nicht, lieber Roſa, daß Ihr Freund auf dieſe Art leidet, machen Sie es mir moͤglich, daß ich Sie und Italien wiederſehe, Sollte es noͤthig ſeyn, ſo entdecken Sie Andrea meine Lage, und er wird keinen Augenblick zaudern und ſich bedenken. Sollt' ich hier noch laͤnger bleiben muͤſſen? Schon leb' ich unter den nie- dern Volksklaſſen und eſſe in den Wirthshaͤu- ſern in der Geſellſchaft von gemeinen Leuten, die jetzt auf ihre Art eben ſo hoͤflich gegen mich ſind, wie noch vor kurzem die Reichen; wenn ich nun auch das wenige Geld ausgegeben habe, ſo werden ſie mich ebenfalls verachten und lau- fen laſſen. Jede Bezeugung der Hoͤflichkeit kraͤnkt mich jetzt innig, weil ſie mich an meine ganze Lage erinnert. — Retten Sie mich, Freund,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0259"n="252"/>
die Menſchen verachten, wenn ſie ſich mit ihrer<lb/>
Verehrung zu uns draͤngen, aber jetzt wird es<lb/>
mir ſchwer. Ich wage es kaum, den Reichen<lb/>
in's Geſicht zu ſehn, ich habe eine ſklaviſche<lb/>
Ehrfurcht vor den Vornehmen, und es iſt mir,<lb/>
als gehoͤrte ich gar nicht in die Welt hinein,<lb/>
als waͤre es nur eine vergoͤnnte Gnade, daß ich<lb/>
die Luft einathme und lebe; ich fuͤhle mich in<lb/>
der niedrigſten Abhaͤngigkeit. — Dulden Sie<lb/>
es nicht, lieber Roſa, daß Ihr Freund auf<lb/>
dieſe Art leidet, machen Sie es mir moͤglich,<lb/>
daß ich Sie und Italien wiederſehe, Sollte es<lb/>
noͤthig ſeyn, ſo entdecken Sie Andrea meine<lb/>
Lage, und er wird keinen Augenblick zaudern<lb/>
und ſich bedenken. Sollt' ich hier noch laͤnger<lb/>
bleiben muͤſſen? Schon leb' ich unter den nie-<lb/>
dern Volksklaſſen und eſſe in den Wirthshaͤu-<lb/>ſern in der Geſellſchaft von gemeinen Leuten,<lb/>
die jetzt auf ihre Art eben ſo hoͤflich gegen mich<lb/>ſind, wie noch vor kurzem die Reichen; wenn<lb/>
ich nun auch das wenige Geld ausgegeben habe,<lb/>ſo werden ſie mich ebenfalls verachten und lau-<lb/>
fen laſſen. Jede Bezeugung der Hoͤflichkeit<lb/>
kraͤnkt mich jetzt innig, weil ſie mich an meine<lb/>
ganze Lage erinnert. — Retten Sie mich, Freund,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[252/0259]
die Menſchen verachten, wenn ſie ſich mit ihrer
Verehrung zu uns draͤngen, aber jetzt wird es
mir ſchwer. Ich wage es kaum, den Reichen
in's Geſicht zu ſehn, ich habe eine ſklaviſche
Ehrfurcht vor den Vornehmen, und es iſt mir,
als gehoͤrte ich gar nicht in die Welt hinein,
als waͤre es nur eine vergoͤnnte Gnade, daß ich
die Luft einathme und lebe; ich fuͤhle mich in
der niedrigſten Abhaͤngigkeit. — Dulden Sie
es nicht, lieber Roſa, daß Ihr Freund auf
dieſe Art leidet, machen Sie es mir moͤglich,
daß ich Sie und Italien wiederſehe, Sollte es
noͤthig ſeyn, ſo entdecken Sie Andrea meine
Lage, und er wird keinen Augenblick zaudern
und ſich bedenken. Sollt' ich hier noch laͤnger
bleiben muͤſſen? Schon leb' ich unter den nie-
dern Volksklaſſen und eſſe in den Wirthshaͤu-
ſern in der Geſellſchaft von gemeinen Leuten,
die jetzt auf ihre Art eben ſo hoͤflich gegen mich
ſind, wie noch vor kurzem die Reichen; wenn
ich nun auch das wenige Geld ausgegeben habe,
ſo werden ſie mich ebenfalls verachten und lau-
fen laſſen. Jede Bezeugung der Hoͤflichkeit
kraͤnkt mich jetzt innig, weil ſie mich an meine
ganze Lage erinnert. — Retten Sie mich, Freund,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/259>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.