Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

sich beim Erwachen an einem so fernen und
fremden Orte wiederfand?

Ach Emilie! Dein Name tönt in meinen
Ohren so süß, meine ganze Kindheit liegt in
dem Laute. -- Ich schwärme oft und bilde
mir ein, daß sie mich hört, daß sie es sieht,
wenn ich ihre Papiere küsse und mit meinen
Thränen benetze. -- Ich habe aus dem Ge-
dächtniß ihr Bildniß gezeichnet, und es ist,
nach meiner Meinung, sehr ähnlich, bey jedem
Zuge, der mir gelang, entstürzten Thränen-
ströme meinen Augen, es war als wenn sie
selbst plötzlich wieder aus dem Papiere hervor-
brechen würde, und mir sagen, alles, alles sey
nur eine unnütze Angst gewesen, daß sie mir
dann, wie in der Kindheit, den Kopf herum-
drehen würde, und ich müßte dann über den
grausamen Schelmstreich lachen. -- Ach! Mor-
timer, wir sind und bleiben immer Kinder,
wir schämen uns nur am Ende unsers Spiel-
zeugs.

Was mich in meinen Schmerzen am mei-
sten niederschlug, war, daß die Natur und alle
Gegenstände umher so kalt und empfindungslos
schienen. In mir selbst war der Mittelpunkt

ſich beim Erwachen an einem ſo fernen und
fremden Orte wiederfand?

Ach Emilie! Dein Name toͤnt in meinen
Ohren ſo ſuͤß, meine ganze Kindheit liegt in
dem Laute. — Ich ſchwaͤrme oft und bilde
mir ein, daß ſie mich hoͤrt, daß ſie es ſieht,
wenn ich ihre Papiere kuͤſſe und mit meinen
Thraͤnen benetze. — Ich habe aus dem Ge-
daͤchtniß ihr Bildniß gezeichnet, und es iſt,
nach meiner Meinung, ſehr aͤhnlich, bey jedem
Zuge, der mir gelang, entſtuͤrzten Thraͤnen-
ſtroͤme meinen Augen, es war als wenn ſie
ſelbſt ploͤtzlich wieder aus dem Papiere hervor-
brechen wuͤrde, und mir ſagen, alles, alles ſey
nur eine unnuͤtze Angſt geweſen, daß ſie mir
dann, wie in der Kindheit, den Kopf herum-
drehen wuͤrde, und ich muͤßte dann uͤber den
grauſamen Schelmſtreich lachen. — Ach! Mor-
timer, wir ſind und bleiben immer Kinder,
wir ſchaͤmen uns nur am Ende unſers Spiel-
zeugs.

Was mich in meinen Schmerzen am mei-
ſten niederſchlug, war, daß die Natur und alle
Gegenſtaͤnde umher ſo kalt und empfindungslos
ſchienen. In mir ſelbſt war der Mittelpunkt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0207" n="200"/>
&#x017F;ich beim Erwachen an einem &#x017F;o fernen und<lb/>
fremden Orte wiederfand?</p><lb/>
          <p>Ach Emilie! Dein Name to&#x0364;nt in meinen<lb/>
Ohren &#x017F;o &#x017F;u&#x0364;ß, meine ganze Kindheit liegt in<lb/>
dem Laute. &#x2014; Ich &#x017F;chwa&#x0364;rme oft und bilde<lb/>
mir ein, daß &#x017F;ie mich ho&#x0364;rt, daß &#x017F;ie es &#x017F;ieht,<lb/>
wenn ich ihre Papiere ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;e und mit meinen<lb/>
Thra&#x0364;nen benetze. &#x2014; Ich habe aus dem Ge-<lb/>
da&#x0364;chtniß ihr Bildniß gezeichnet, und es i&#x017F;t,<lb/>
nach meiner Meinung, &#x017F;ehr a&#x0364;hnlich, bey jedem<lb/>
Zuge, der mir gelang, ent&#x017F;tu&#x0364;rzten Thra&#x0364;nen-<lb/>
&#x017F;tro&#x0364;me meinen Augen, es war als wenn &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t plo&#x0364;tzlich wieder aus dem Papiere hervor-<lb/>
brechen wu&#x0364;rde, und mir &#x017F;agen, alles, alles &#x017F;ey<lb/>
nur eine unnu&#x0364;tze Ang&#x017F;t gewe&#x017F;en, daß &#x017F;ie mir<lb/>
dann, wie in der Kindheit, den Kopf herum-<lb/>
drehen wu&#x0364;rde, und ich mu&#x0364;ßte dann u&#x0364;ber den<lb/>
grau&#x017F;amen Schelm&#x017F;treich lachen. &#x2014; Ach! Mor-<lb/>
timer, wir &#x017F;ind und bleiben immer Kinder,<lb/>
wir &#x017F;cha&#x0364;men uns nur am Ende un&#x017F;ers Spiel-<lb/>
zeugs.</p><lb/>
          <p>Was mich in meinen Schmerzen am mei-<lb/>
&#x017F;ten nieder&#x017F;chlug, war, daß die Natur und alle<lb/>
Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde umher &#x017F;o kalt und empfindungslos<lb/>
&#x017F;chienen. In mir &#x017F;elb&#x017F;t war der Mittelpunkt<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[200/0207] ſich beim Erwachen an einem ſo fernen und fremden Orte wiederfand? Ach Emilie! Dein Name toͤnt in meinen Ohren ſo ſuͤß, meine ganze Kindheit liegt in dem Laute. — Ich ſchwaͤrme oft und bilde mir ein, daß ſie mich hoͤrt, daß ſie es ſieht, wenn ich ihre Papiere kuͤſſe und mit meinen Thraͤnen benetze. — Ich habe aus dem Ge- daͤchtniß ihr Bildniß gezeichnet, und es iſt, nach meiner Meinung, ſehr aͤhnlich, bey jedem Zuge, der mir gelang, entſtuͤrzten Thraͤnen- ſtroͤme meinen Augen, es war als wenn ſie ſelbſt ploͤtzlich wieder aus dem Papiere hervor- brechen wuͤrde, und mir ſagen, alles, alles ſey nur eine unnuͤtze Angſt geweſen, daß ſie mir dann, wie in der Kindheit, den Kopf herum- drehen wuͤrde, und ich muͤßte dann uͤber den grauſamen Schelmſtreich lachen. — Ach! Mor- timer, wir ſind und bleiben immer Kinder, wir ſchaͤmen uns nur am Ende unſers Spiel- zeugs. Was mich in meinen Schmerzen am mei- ſten niederſchlug, war, daß die Natur und alle Gegenſtaͤnde umher ſo kalt und empfindungslos ſchienen. In mir ſelbſt war der Mittelpunkt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/207
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/207>, abgerufen am 05.05.2024.