eine Stunde nachher, als ich das Haus verlas- sen hatte, erwacht' ich; der glänzende Irrthum, die Täuschung, die Eigenliebe, alles verschwand; ich sah ein, daß Lovell mich nicht liebte, ach! und ich entdeckte in meinem eigenen Herzen, daß es ihn nie geliebt hatte. Ich sah meine Ver- ächtlichkeit ein, die erzwungene Spannung einer hochfliegenden Phantasie, die Sucht etwas Ei- genes und Besonderes zu empfinden, -- ach, wie ich mich seit der Zeit verachtet und gehaßt ha- be! -- Aber ich habe hinlänglich dafür gelit- ten. -- O theureste, theureste Amalie, vergieb mir, daß ich mich immer über Dir erhaben fühlte, daß ich Dein Betragen und Deine Ge- fühle unaufhörlich meisterte. -- O Gott! wie groß, wie heilig erscheinst Du mir jetzt in Dei- nem einfältigen Wandel!
Ich kann die Feder kaum halten, -- ich fühle mich sehr schwach. -- Er hat mich ver- lassen, unter fremden Menschen lieg ich hier oh- ne Hülfe, krank, auf dem Todtenbette, das fühl' ich; der Gram, die Verzweiflung, sie ha- ben die Kraft meines Lebens hinwegg nommen. O, er hätte mich doch nicht so verlassen sollen, das hatt' ich doch nicht um ihn verdient!
eine Stunde nachher, als ich das Haus verlaſ- ſen hatte, erwacht' ich; der glaͤnzende Irrthum, die Taͤuſchung, die Eigenliebe, alles verſchwand; ich ſah ein, daß Lovell mich nicht liebte, ach! und ich entdeckte in meinem eigenen Herzen, daß es ihn nie geliebt hatte. Ich ſah meine Ver- aͤchtlichkeit ein, die erzwungene Spannung einer hochfliegenden Phantaſie, die Sucht etwas Ei- genes und Beſonderes zu empfinden, — ach, wie ich mich ſeit der Zeit verachtet und gehaßt ha- be! — Aber ich habe hinlaͤnglich dafuͤr gelit- ten. — O theureſte, theureſte Amalie, vergieb mir, daß ich mich immer uͤber Dir erhaben fuͤhlte, daß ich Dein Betragen und Deine Ge- fuͤhle unaufhoͤrlich meiſterte. — O Gott! wie groß, wie heilig erſcheinſt Du mir jetzt in Dei- nem einfaͤltigen Wandel!
Ich kann die Feder kaum halten, — ich fuͤhle mich ſehr ſchwach. — Er hat mich ver- laſſen, unter fremden Menſchen lieg ich hier oh- ne Huͤlfe, krank, auf dem Todtenbette, das fuͤhl' ich; der Gram, die Verzweiflung, ſie ha- ben die Kraft meines Lebens hinwegg nommen. O, er haͤtte mich doch nicht ſo verlaſſen ſollen, das hatt' ich doch nicht um ihn verdient!
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eine Stunde nachher, als ich das Haus verlaſ-
ſen hatte, erwacht' ich; der glaͤnzende Irrthum,
die Taͤuſchung, die Eigenliebe, alles verſchwand;
ich ſah ein, daß Lovell mich nicht liebte, ach!
und ich entdeckte in meinem eigenen Herzen, daß
es ihn nie geliebt hatte. Ich ſah meine Ver-
aͤchtlichkeit ein, die erzwungene Spannung einer
hochfliegenden Phantaſie, die Sucht etwas Ei-
genes und Beſonderes zu empfinden, — ach, wie
ich mich ſeit der Zeit verachtet und gehaßt ha-
be! — Aber ich habe hinlaͤnglich dafuͤr gelit-
ten. — O theureſte, theureſte Amalie, vergieb
mir, daß ich mich immer uͤber Dir erhaben
fuͤhlte, daß ich Dein Betragen und Deine Ge-
fuͤhle unaufhoͤrlich meiſterte. — O Gott! wie
groß, wie heilig erſcheinſt Du mir jetzt in Dei-
nem einfaͤltigen Wandel!
Ich kann die Feder kaum halten, — ich
fuͤhle mich ſehr ſchwach. — Er hat mich ver-
laſſen, unter fremden Menſchen lieg ich hier oh-
ne Huͤlfe, krank, auf dem Todtenbette, das
fuͤhl' ich; der Gram, die Verzweiflung, ſie ha-
ben die Kraft meines Lebens hinwegg nommen.
O, er haͤtte mich doch nicht ſo verlaſſen ſollen,
das hatt' ich doch nicht um ihn verdient!
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/158>, abgerufen am 21.11.2024.
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