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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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brachten Ernste war ich von je zu kalt gegen
sie: ich fühlte oft die schönste brüderliche
Liebe, die wärmste Zuneigung gegen sie, daß
ich hätte an ihre Brust sinken mögen und
sie umarmen und küssen, als wäre sie eben
von einer schweren Krankheit genesen, oder
als wäre sie von einer langen Reise zurückge-
kommen. Aber dann überraschte mich wieder
die kleinliche Furcht, nicht für affektirt oder
sonderbar zu gelten, und ich blieb in dem ge-
wöhnlichen Tone des Umgangs; ich war oft
gegen ihr herzlichsten Aeußerungen zurucksto-
ßend, und das hat sie mir am Ende fremd ge-
macht; sie hat mir ihre Gefühle nicht zuge-
traut und aus Verdruß und Schmerz hat sie
ein näher verwandtes Herz suchen wollen: --
Auch gegen Lovell war ich immer zu kalt, ich
fühlte seine Uebertreibung in der Freundschaft,
und um nicht in denselben Fehler zu fallen,
war ich frostig. -- O die Menschen wissen es
gar nicht, sie können es nicht wissen, wie
sehr ich sie liebe, -- und darum möcht' ich
sie wieder hier haben, um ihnen alles zu sa-
gen, und mich zu erkennen zu geben, um
wie ein Verirrter die Heimath wieder zu fin-

brachten Ernſte war ich von je zu kalt gegen
ſie: ich fuͤhlte oft die ſchoͤnſte bruͤderliche
Liebe, die waͤrmſte Zuneigung gegen ſie, daß
ich haͤtte an ihre Bruſt ſinken moͤgen und
ſie umarmen und kuͤſſen, als waͤre ſie eben
von einer ſchweren Krankheit geneſen, oder
als waͤre ſie von einer langen Reiſe zuruͤckge-
kommen. Aber dann uͤberraſchte mich wieder
die kleinliche Furcht, nicht fuͤr affektirt oder
ſonderbar zu gelten, und ich blieb in dem ge-
woͤhnlichen Tone des Umgangs; ich war oft
gegen ihr herzlichſten Aeußerungen zuruckſto-
ßend, und das hat ſie mir am Ende fremd ge-
macht; ſie hat mir ihre Gefuͤhle nicht zuge-
traut und aus Verdruß und Schmerz hat ſie
ein naͤher verwandtes Herz ſuchen wollen: —
Auch gegen Lovell war ich immer zu kalt, ich
fuͤhlte ſeine Uebertreibung in der Freundſchaft,
und um nicht in denſelben Fehler zu fallen,
war ich froſtig. — O die Menſchen wiſſen es
gar nicht, ſie koͤnnen es nicht wiſſen, wie
ſehr ich ſie liebe, — und darum moͤcht' ich
ſie wieder hier haben, um ihnen alles zu ſa-
gen, und mich zu erkennen zu geben, um
wie ein Verirrter die Heimath wieder zu fin-

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[142/0149] brachten Ernſte war ich von je zu kalt gegen ſie: ich fuͤhlte oft die ſchoͤnſte bruͤderliche Liebe, die waͤrmſte Zuneigung gegen ſie, daß ich haͤtte an ihre Bruſt ſinken moͤgen und ſie umarmen und kuͤſſen, als waͤre ſie eben von einer ſchweren Krankheit geneſen, oder als waͤre ſie von einer langen Reiſe zuruͤckge- kommen. Aber dann uͤberraſchte mich wieder die kleinliche Furcht, nicht fuͤr affektirt oder ſonderbar zu gelten, und ich blieb in dem ge- woͤhnlichen Tone des Umgangs; ich war oft gegen ihr herzlichſten Aeußerungen zuruckſto- ßend, und das hat ſie mir am Ende fremd ge- macht; ſie hat mir ihre Gefuͤhle nicht zuge- traut und aus Verdruß und Schmerz hat ſie ein naͤher verwandtes Herz ſuchen wollen: — Auch gegen Lovell war ich immer zu kalt, ich fuͤhlte ſeine Uebertreibung in der Freundſchaft, und um nicht in denſelben Fehler zu fallen, war ich froſtig. — O die Menſchen wiſſen es gar nicht, ſie koͤnnen es nicht wiſſen, wie ſehr ich ſie liebe, — und darum moͤcht' ich ſie wieder hier haben, um ihnen alles zu ſa- gen, und mich zu erkennen zu geben, um wie ein Verirrter die Heimath wieder zu fin-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/149>, abgerufen am 27.11.2024.