noch immer kein Geschrey, die Blainville eröff- nete mir auch nicht die Thür; das Licht in Amaliens Zimmer blieb ruhig an seiner Stelle. Ich zitterte vor Ungeduld, vor Angst und Ver- gnügen. Wie man im Traume zuweilen auf ei- ner schwindelnden Höhe steht, sich vor dem Ab- grunde entsetzt und dennoch weiß, daß man hin- unter stürzen wird, wie man denn in unbeschreib- licher Angst den Augenblick des Hinabfallens wünscht, so, grade so kamen mir diese Sekun- den vor. Ich konnte nicht begreifen, wo die Blainville so lange zögerte: ich gieng heftig auf und ab und stand dann wieder still, ich traute meinen Augen und meinen Ohren nicht, daß al- les, gegen die Abrede, noch still blieb und sich die Thür noch immer nicht eröffnete, und den- noch rückte die Zeit unaufhaltsam und fürchter- lich weiter. Die Flammen brannten hell zum Dache hinauf, Ziegel stürzten herunter, der Wi- derschein zitterte in den grünen Bäumen, das ganze Haus war mit Rauch umgeben und jetzt glaubte ich eine schwache Stimme zu hören, die nach Hülfe rief. Als ich noch ungewiß war, was ich thun sollte, eröffnete sich Amaliens Fenster, sie sah heraus und fuhr mit einem
noch immer kein Geſchrey, die Blainville eroͤff- nete mir auch nicht die Thuͤr; das Licht in Amaliens Zimmer blieb ruhig an ſeiner Stelle. Ich zitterte vor Ungeduld, vor Angſt und Ver- gnuͤgen. Wie man im Traume zuweilen auf ei- ner ſchwindelnden Hoͤhe ſteht, ſich vor dem Ab- grunde entſetzt und dennoch weiß, daß man hin- unter ſtuͤrzen wird, wie man denn in unbeſchreib- licher Angſt den Augenblick des Hinabfallens wuͤnſcht, ſo, grade ſo kamen mir dieſe Sekun- den vor. Ich konnte nicht begreifen, wo die Blainville ſo lange zoͤgerte: ich gieng heftig auf und ab und ſtand dann wieder ſtill, ich traute meinen Augen und meinen Ohren nicht, daß al- les, gegen die Abrede, noch ſtill blieb und ſich die Thuͤr noch immer nicht eroͤffnete, und den- noch ruͤckte die Zeit unaufhaltſam und fuͤrchter- lich weiter. Die Flammen brannten hell zum Dache hinauf, Ziegel ſtuͤrzten herunter, der Wi- derſchein zitterte in den gruͤnen Baͤumen, das ganze Haus war mit Rauch umgeben und jetzt glaubte ich eine ſchwache Stimme zu hoͤren, die nach Huͤlfe rief. Als ich noch ungewiß war, was ich thun ſollte, eroͤffnete ſich Amaliens Fenſter, ſie ſah heraus und fuhr mit einem
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noch immer kein Geſchrey, die Blainville eroͤff-
nete mir auch nicht die Thuͤr; das Licht in
Amaliens Zimmer blieb ruhig an ſeiner Stelle.
Ich zitterte vor Ungeduld, vor Angſt und Ver-
gnuͤgen. Wie man im Traume zuweilen auf ei-
ner ſchwindelnden Hoͤhe ſteht, ſich vor dem Ab-
grunde entſetzt und dennoch weiß, daß man hin-
unter ſtuͤrzen wird, wie man denn in unbeſchreib-
licher Angſt den Augenblick des Hinabfallens
wuͤnſcht, ſo, grade ſo kamen mir dieſe Sekun-
den vor. Ich konnte nicht begreifen, wo die
Blainville ſo lange zoͤgerte: ich gieng heftig auf
und ab und ſtand dann wieder ſtill, ich traute
meinen Augen und meinen Ohren nicht, daß al-
les, gegen die Abrede, noch ſtill blieb und ſich
die Thuͤr noch immer nicht eroͤffnete, und den-
noch ruͤckte die Zeit unaufhaltſam und fuͤrchter-
lich weiter. Die Flammen brannten hell zum
Dache hinauf, Ziegel ſtuͤrzten herunter, der Wi-
derſchein zitterte in den gruͤnen Baͤumen, das
ganze Haus war mit Rauch umgeben und jetzt
glaubte ich eine ſchwache Stimme zu hoͤren, die
nach Huͤlfe rief. Als ich noch ungewiß war,
was ich thun ſollte, eroͤffnete ſich Amaliens
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/134>, abgerufen am 27.11.2024.
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