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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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gethan! War ich durch ein kränkendes, men-
schenfeindliches Mißtrauen nicht Ursache, daß
der arme, geängstete Willy nach dem Gifte griff,
und es austrank, um mich von seiner Unschuld
zu überzeugen? Ich habe seit dem oft an den
alten frommen Mann gedacht, und ich kann
mich recht in seine Seele versetzen; halb wahn-
sinnig, aus Gram über Lovell den er so innig
liebte, in der schrecklichsten Verlegenheit, mich
zu warnen, und doch seinen Herrn nicht zu ver-
rathen, überrascht und erschreckt durch meinen
Argwohn, -- von allen Seiten gedrängt, greif[t]
er zerstreut und unwillkürlich nach dem Tode,
um nur seinem Leben ein Ende, und seine Un-
schuld deutlich zu machen. -- Hätt' ich ihm
nicht mit Liebe entgegen gehen sollen, um sei-
nen Jammer zu lindern? -- Ach Mortimer, ich
war es, der ihm die schrecklichste Minute sei-
nes Daseyns erleben ließ; ich war Schuld an
seinem Tode.

Hab' ich nicht durch eigne Schuld Lovells
Seele verlohren? Konnt' ich ihn nicht vielleicht
mir und sich selber wiedergeben? -- Ich war
gespannt, und mein Schmerz hatte mich soweit
überwältigt, daß ich unmenschlich war. Durch

gethan! War ich durch ein kraͤnkendes, men-
ſchenfeindliches Mißtrauen nicht Urſache, daß
der arme, geaͤngſtete Willy nach dem Gifte griff,
und es austrank, um mich von ſeiner Unſchuld
zu uͤberzeugen? Ich habe ſeit dem oft an den
alten frommen Mann gedacht, und ich kann
mich recht in ſeine Seele verſetzen; halb wahn-
ſinnig, aus Gram uͤber Lovell den er ſo innig
liebte, in der ſchrecklichſten Verlegenheit, mich
zu warnen, und doch ſeinen Herrn nicht zu ver-
rathen, uͤberraſcht und erſchreckt durch meinen
Argwohn, — von allen Seiten gedraͤngt, greif[t]
er zerſtreut und unwillkuͤrlich nach dem Tode,
um nur ſeinem Leben ein Ende, und ſeine Un-
ſchuld deutlich zu machen. — Haͤtt' ich ihm
nicht mit Liebe entgegen gehen ſollen, um ſei-
nen Jammer zu lindern? — Ach Mortimer, ich
war es, der ihm die ſchrecklichſte Minute ſei-
nes Daſeyns erleben ließ; ich war Schuld an
ſeinem Tode.

Hab' ich nicht durch eigne Schuld Lovells
Seele verlohren? Konnt' ich ihn nicht vielleicht
mir und ſich ſelber wiedergeben? — Ich war
geſpannt, und mein Schmerz hatte mich ſoweit
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[95/0102] gethan! War ich durch ein kraͤnkendes, men- ſchenfeindliches Mißtrauen nicht Urſache, daß der arme, geaͤngſtete Willy nach dem Gifte griff, und es austrank, um mich von ſeiner Unſchuld zu uͤberzeugen? Ich habe ſeit dem oft an den alten frommen Mann gedacht, und ich kann mich recht in ſeine Seele verſetzen; halb wahn- ſinnig, aus Gram uͤber Lovell den er ſo innig liebte, in der ſchrecklichſten Verlegenheit, mich zu warnen, und doch ſeinen Herrn nicht zu ver- rathen, uͤberraſcht und erſchreckt durch meinen Argwohn, — von allen Seiten gedraͤngt, greift er zerſtreut und unwillkuͤrlich nach dem Tode, um nur ſeinem Leben ein Ende, und ſeine Un- ſchuld deutlich zu machen. — Haͤtt' ich ihm nicht mit Liebe entgegen gehen ſollen, um ſei- nen Jammer zu lindern? — Ach Mortimer, ich war es, der ihm die ſchrecklichſte Minute ſei- nes Daſeyns erleben ließ; ich war Schuld an ſeinem Tode. Hab' ich nicht durch eigne Schuld Lovells Seele verlohren? Konnt' ich ihn nicht vielleicht mir und ſich ſelber wiedergeben? — Ich war geſpannt, und mein Schmerz hatte mich ſoweit uͤberwaͤltigt, daß ich unmenſchlich war. Durch

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/102>, abgerufen am 23.11.2024.