Dein Brief hat mir gefallen, weiter kann ich Dir gar nichts darüber sagen. Nicht eben des- wegen, weil ich so ganz Deiner Meinung bey- trete, oder weil ich glaubte, daß Du alles, was ich Dir neulich schrieb, ganz so, wie ich es wünschte, gefaßt habest, sondern weil ich in diesem Briefe Dich so ganz wieder finde. O ihr Menschenkenner! die ihr aus der Seele der Menschen ein Exempel macht, und dann mit euren armseeligen fünf Specien hineinaddirt und dividirt! Ihr wollt einen Aufriß von einem Gebäude machen, das Ihr nicht kennt. Ich habe von je die freche Hand bewundert, die mit dem Räthselhaftesten und Unbegreiflichsten gewöhnlich so umgeht, wie ein Bildhauer mit seinem Marmor; er wird geschlagen und ge- schliffen, als wenn alle die heruntergerissenen Stücke nun wirklich von dem Wesen getrennt wären, und am Ende ein Bild daraus entstün- de, wie man es zu seinem Wohlgefallen, oder
zu
12. Andrea Coſimo an Roſa.
Neapel.
Dein Brief hat mir gefallen, weiter kann ich Dir gar nichts daruͤber ſagen. Nicht eben des- wegen, weil ich ſo ganz Deiner Meinung bey- trete, oder weil ich glaubte, daß Du alles, was ich Dir neulich ſchrieb, ganz ſo, wie ich es wuͤnſchte, gefaßt habeſt, ſondern weil ich in dieſem Briefe Dich ſo ganz wieder finde. O ihr Menſchenkenner! die ihr aus der Seele der Menſchen ein Exempel macht, und dann mit euren armſeeligen fuͤnf Specien hineinaddirt und dividirt! Ihr wollt einen Aufriß von einem Gebaͤude machen, das Ihr nicht kennt. Ich habe von je die freche Hand bewundert, die mit dem Raͤthſelhafteſten und Unbegreiflichſten gewoͤhnlich ſo umgeht, wie ein Bildhauer mit ſeinem Marmor; er wird geſchlagen und ge- ſchliffen, als wenn alle die heruntergeriſſenen Stuͤcke nun wirklich von dem Weſen getrennt waͤren, und am Ende ein Bild daraus entſtuͤn- de, wie man es zu ſeinem Wohlgefallen, oder
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12.
Andrea Coſimo an Roſa.
Neapel.
Dein Brief hat mir gefallen, weiter kann ich
Dir gar nichts daruͤber ſagen. Nicht eben des-
wegen, weil ich ſo ganz Deiner Meinung bey-
trete, oder weil ich glaubte, daß Du alles, was
ich Dir neulich ſchrieb, ganz ſo, wie ich es
wuͤnſchte, gefaßt habeſt, ſondern weil ich in
dieſem Briefe Dich ſo ganz wieder finde. O ihr
Menſchenkenner! die ihr aus der Seele der
Menſchen ein Exempel macht, und dann mit
euren armſeeligen fuͤnf Specien hineinaddirt und
dividirt! Ihr wollt einen Aufriß von einem
Gebaͤude machen, das Ihr nicht kennt. Ich
habe von je die freche Hand bewundert, die
mit dem Raͤthſelhafteſten und Unbegreiflichſten
gewoͤhnlich ſo umgeht, wie ein Bildhauer mit
ſeinem Marmor; er wird geſchlagen und ge-
ſchliffen, als wenn alle die heruntergeriſſenen
Stuͤcke nun wirklich von dem Weſen getrennt
waͤren, und am Ende ein Bild daraus entſtuͤn-
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/70>, abgerufen am 23.11.2024.
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