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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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mir wieder ein: alles dies beschäftigt meine
Seele zu sehr, und macht sie unruhig. Das
Alter kann diese Wogen nicht so leicht in Ruhe
legen, als es der Jüngling kann. Vor zwanzig
Jahren würde mich dieser Prozeß beschäftigt und
zugleich unterhalten haben; aber jetzt kann ich
nur in dem entscheidenden Moment einen freu-
digen Moment erblicken. Sie sehen, wie fest
ich darauf vertraue, daß sich alles zu meinem
Vortheile entscheiden wird, aber Sie sehn auch
zugleich, wie nöthig es ist, daß Sie meinen
Besorgnissen so früh als möglich ein Ziel setzen.
Denn ich finde es sehr natürlich und billig, daß
Sie in Ihrer Lage durch Aufschub und Verlän-
gerung meine Dankbarkeit verlängern und meine
Verbindlichkeit vermehren wollen. Sie glauben,
daß ich jetzt in einer gewissen Abhängigkeit von
Ihnen existire, bey der Sie unvermerkt einen
Theil meiner Schwächen nach dem andern für
sich erobern können. Ich finde an dieser Klug-
heit nichts zu tadeln, sondern sie ist lobenswür-
dig, und der ist ein Thor, der in dem verwor-
renen Wechsel des Lebens nicht die wiederkeh-
rende Fluth geschickt benutzt, um sein Fahrzeug
flott zu machen. Sie sehen, wie sehr ich Ih-

mir wieder ein: alles dies beſchaͤftigt meine
Seele zu ſehr, und macht ſie unruhig. Das
Alter kann dieſe Wogen nicht ſo leicht in Ruhe
legen, als es der Juͤngling kann. Vor zwanzig
Jahren wuͤrde mich dieſer Prozeß beſchaͤftigt und
zugleich unterhalten haben; aber jetzt kann ich
nur in dem entſcheidenden Moment einen freu-
digen Moment erblicken. Sie ſehen, wie feſt
ich darauf vertraue, daß ſich alles zu meinem
Vortheile entſcheiden wird, aber Sie ſehn auch
zugleich, wie noͤthig es iſt, daß Sie meinen
Beſorgniſſen ſo fruͤh als moͤglich ein Ziel ſetzen.
Denn ich finde es ſehr natuͤrlich und billig, daß
Sie in Ihrer Lage durch Aufſchub und Verlaͤn-
gerung meine Dankbarkeit verlaͤngern und meine
Verbindlichkeit vermehren wollen. Sie glauben,
daß ich jetzt in einer gewiſſen Abhaͤngigkeit von
Ihnen exiſtire, bey der Sie unvermerkt einen
Theil meiner Schwaͤchen nach dem andern fuͤr
ſich erobern koͤnnen. Ich finde an dieſer Klug-
heit nichts zu tadeln, ſondern ſie iſt lobenswuͤr-
dig, und der iſt ein Thor, der in dem verwor-
renen Wechſel des Lebens nicht die wiederkeh-
rende Fluth geſchickt benutzt, um ſein Fahrzeug
flott zu machen. Sie ſehen, wie ſehr ich Ih-

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[55/0061] mir wieder ein: alles dies beſchaͤftigt meine Seele zu ſehr, und macht ſie unruhig. Das Alter kann dieſe Wogen nicht ſo leicht in Ruhe legen, als es der Juͤngling kann. Vor zwanzig Jahren wuͤrde mich dieſer Prozeß beſchaͤftigt und zugleich unterhalten haben; aber jetzt kann ich nur in dem entſcheidenden Moment einen freu- digen Moment erblicken. Sie ſehen, wie feſt ich darauf vertraue, daß ſich alles zu meinem Vortheile entſcheiden wird, aber Sie ſehn auch zugleich, wie noͤthig es iſt, daß Sie meinen Beſorgniſſen ſo fruͤh als moͤglich ein Ziel ſetzen. Denn ich finde es ſehr natuͤrlich und billig, daß Sie in Ihrer Lage durch Aufſchub und Verlaͤn- gerung meine Dankbarkeit verlaͤngern und meine Verbindlichkeit vermehren wollen. Sie glauben, daß ich jetzt in einer gewiſſen Abhaͤngigkeit von Ihnen exiſtire, bey der Sie unvermerkt einen Theil meiner Schwaͤchen nach dem andern fuͤr ſich erobern koͤnnen. Ich finde an dieſer Klug- heit nichts zu tadeln, ſondern ſie iſt lobenswuͤr- dig, und der iſt ein Thor, der in dem verwor- renen Wechſel des Lebens nicht die wiederkeh- rende Fluth geſchickt benutzt, um ſein Fahrzeug flott zu machen. Sie ſehen, wie ſehr ich Ih-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/61>, abgerufen am 03.12.2024.