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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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le Elektricität verlohren, und war dumm und
gefühllos; selbst der Wein konnte nur auf
einzelne Minuten meine frohe Laune zurück-
bringen.

Langeweile ist gewiß die Qual der Hölle,
denn bis jetzt habe ich keine größere kennen ge-
lernt; die Schmerzen des Körpers und der See-
le beschäftigen doch den Geist, der Unglückliche
bringt doch die Zeit mit Klagen hinweg, und
unter dem Gewühl stürmender Ideen verfliegen
die Stunden schnell und unbemerkt: aber so wie
ich dasitzen und die Nägel betrachten, im Zim-
mer auf und niedergehn, um sich wieder hinzu-
setzen, die Augenbraunen reiben, um sich auf ir-
gend etwas zu besinnen, man weiß selbst nicht
worauf; dann wieder einmal aus dem Fenster zu
sehen, um sich nachher zur Abwechselung aufs
Sopha werfen zu können, -- ach Mortimer,
nenne mir eine Pein, die diesem Krebse gleich
käme, der nach und nach die Zeit verzehrt, und
wo man Minute vor Minute mißt, wo die Ta-
ge so lang und der Stunden so viel sind, und
man dann doch nach einem Monate überrascht
ausruft: Mein Gott, wie flüchtig ist die Zeit!
Wo sind denn diese vier Wochen geblieben?


le Elektricitaͤt verlohren, und war dumm und
gefuͤhllos; ſelbſt der Wein konnte nur auf
einzelne Minuten meine frohe Laune zuruͤck-
bringen.

Langeweile iſt gewiß die Qual der Hoͤlle,
denn bis jetzt habe ich keine groͤßere kennen ge-
lernt; die Schmerzen des Koͤrpers und der See-
le beſchaͤftigen doch den Geiſt, der Ungluͤckliche
bringt doch die Zeit mit Klagen hinweg, und
unter dem Gewuͤhl ſtuͤrmender Ideen verfliegen
die Stunden ſchnell und unbemerkt: aber ſo wie
ich daſitzen und die Naͤgel betrachten, im Zim-
mer auf und niedergehn, um ſich wieder hinzu-
ſetzen, die Augenbraunen reiben, um ſich auf ir-
gend etwas zu beſinnen, man weiß ſelbſt nicht
worauf; dann wieder einmal aus dem Fenſter zu
ſehen, um ſich nachher zur Abwechſelung aufs
Sopha werfen zu koͤnnen, — ach Mortimer,
nenne mir eine Pein, die dieſem Krebſe gleich
kaͤme, der nach und nach die Zeit verzehrt, und
wo man Minute vor Minute mißt, wo die Ta-
ge ſo lang und der Stunden ſo viel ſind, und
man dann doch nach einem Monate uͤberraſcht
ausruft: Mein Gott, wie fluͤchtig iſt die Zeit!
Wo ſind denn dieſe vier Wochen geblieben?


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[45/0051] le Elektricitaͤt verlohren, und war dumm und gefuͤhllos; ſelbſt der Wein konnte nur auf einzelne Minuten meine frohe Laune zuruͤck- bringen. Langeweile iſt gewiß die Qual der Hoͤlle, denn bis jetzt habe ich keine groͤßere kennen ge- lernt; die Schmerzen des Koͤrpers und der See- le beſchaͤftigen doch den Geiſt, der Ungluͤckliche bringt doch die Zeit mit Klagen hinweg, und unter dem Gewuͤhl ſtuͤrmender Ideen verfliegen die Stunden ſchnell und unbemerkt: aber ſo wie ich daſitzen und die Naͤgel betrachten, im Zim- mer auf und niedergehn, um ſich wieder hinzu- ſetzen, die Augenbraunen reiben, um ſich auf ir- gend etwas zu beſinnen, man weiß ſelbſt nicht worauf; dann wieder einmal aus dem Fenſter zu ſehen, um ſich nachher zur Abwechſelung aufs Sopha werfen zu koͤnnen, — ach Mortimer, nenne mir eine Pein, die dieſem Krebſe gleich kaͤme, der nach und nach die Zeit verzehrt, und wo man Minute vor Minute mißt, wo die Ta- ge ſo lang und der Stunden ſo viel ſind, und man dann doch nach einem Monate uͤberraſcht ausruft: Mein Gott, wie fluͤchtig iſt die Zeit! Wo ſind denn dieſe vier Wochen geblieben?

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/51>, abgerufen am 04.05.2024.