ner Abreise, man ist ermüdet und verwirrt vom Einpacken und Anordnen, wobey endlich die Fin- sterniß hereinbricht, und man mit dem Lichte bald in dieses, bald in jenes Zimmer wandert, um nur nichts zu vergessen; Koffer und Man- telsäcke werden dann zugeschlossen, und wir werden so recht darauf aufmerksam gemacht, wie unser ganzes Leben aus so elenden Bedürf- nissen zusammengeflickt ist, wie wir mit einem Praß von unnützen Nothwendigkeiten beladen, wie wir an uns selbst so wenig, ja fast nichts sind. Das ängstliche Herumtreiben der Auf- wärter, die größere Leere der Zimmer, der Ge- danke der Reise, -- alles giebt dann eine dun- kle Allegorie von der widrigen Maschinerie des menschlichen Lebens, wo alle Räder und alle Getriebe so kreischend hervorschreien, wo das Bedürfniß die erste bewegende Kraft ist. Dann gehn Berge und Thäler wie Schatten meinem Sinn vorüber, ich erwarte den Anbruch des Tages mit einer Aengstlichkeit, als wenn ich sterben sollte.
Mit dem ersten Ruck des Wagens hören dann gewöhnlich meine Beklemmungen auf, ich vergesse denn, daß ich den Ort, den ich verlas-
ner Abreiſe, man iſt ermuͤdet und verwirrt vom Einpacken und Anordnen, wobey endlich die Fin- ſterniß hereinbricht, und man mit dem Lichte bald in dieſes, bald in jenes Zimmer wandert, um nur nichts zu vergeſſen; Koffer und Man- telſaͤcke werden dann zugeſchloſſen, und wir werden ſo recht darauf aufmerkſam gemacht, wie unſer ganzes Leben aus ſo elenden Beduͤrf- niſſen zuſammengeflickt iſt, wie wir mit einem Praß von unnuͤtzen Nothwendigkeiten beladen, wie wir an uns ſelbſt ſo wenig, ja faſt nichts ſind. Das aͤngſtliche Herumtreiben der Auf- waͤrter, die groͤßere Leere der Zimmer, der Ge- danke der Reiſe, — alles giebt dann eine dun- kle Allegorie von der widrigen Maſchinerie des menſchlichen Lebens, wo alle Raͤder und alle Getriebe ſo kreiſchend hervorſchreien, wo das Beduͤrfniß die erſte bewegende Kraft iſt. Dann gehn Berge und Thaͤler wie Schatten meinem Sinn voruͤber, ich erwarte den Anbruch des Tages mit einer Aengſtlichkeit, als wenn ich ſterben ſollte.
Mit dem erſten Ruck des Wagens hoͤren dann gewoͤhnlich meine Beklemmungen auf, ich vergeſſe denn, daß ich den Ort, den ich verlaſ-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0396"n="390"/>
ner Abreiſe, man iſt ermuͤdet und verwirrt vom<lb/>
Einpacken und Anordnen, wobey endlich die Fin-<lb/>ſterniß hereinbricht, und man mit dem Lichte<lb/>
bald in dieſes, bald in jenes Zimmer wandert,<lb/>
um nur nichts zu vergeſſen; Koffer und Man-<lb/>
telſaͤcke werden dann zugeſchloſſen, und wir<lb/>
werden ſo recht darauf aufmerkſam gemacht,<lb/>
wie unſer ganzes Leben aus ſo elenden Beduͤrf-<lb/>
niſſen zuſammengeflickt iſt, wie wir mit einem<lb/>
Praß von <choice><sic>nnnuͤtzen</sic><corr>unnuͤtzen</corr></choice> Nothwendigkeiten beladen,<lb/>
wie wir an uns ſelbſt ſo wenig, ja faſt nichts<lb/>ſind. Das aͤngſtliche Herumtreiben der Auf-<lb/>
waͤrter, die groͤßere Leere der Zimmer, der Ge-<lb/>
danke der Reiſe, — alles giebt dann eine dun-<lb/>
kle Allegorie von der widrigen Maſchinerie des<lb/>
menſchlichen Lebens, wo alle Raͤder und alle<lb/>
Getriebe ſo kreiſchend hervorſchreien, wo das<lb/>
Beduͤrfniß die erſte bewegende Kraft iſt. Dann<lb/>
gehn Berge und Thaͤler wie Schatten meinem<lb/>
Sinn voruͤber, ich erwarte den Anbruch des<lb/>
Tages mit einer Aengſtlichkeit, als wenn ich<lb/>ſterben ſollte.</p><lb/><p>Mit dem erſten Ruck des Wagens hoͤren<lb/>
dann gewoͤhnlich meine Beklemmungen auf, ich<lb/>
vergeſſe denn, daß ich den Ort, den ich verlaſ-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[390/0396]
ner Abreiſe, man iſt ermuͤdet und verwirrt vom
Einpacken und Anordnen, wobey endlich die Fin-
ſterniß hereinbricht, und man mit dem Lichte
bald in dieſes, bald in jenes Zimmer wandert,
um nur nichts zu vergeſſen; Koffer und Man-
telſaͤcke werden dann zugeſchloſſen, und wir
werden ſo recht darauf aufmerkſam gemacht,
wie unſer ganzes Leben aus ſo elenden Beduͤrf-
niſſen zuſammengeflickt iſt, wie wir mit einem
Praß von unnuͤtzen Nothwendigkeiten beladen,
wie wir an uns ſelbſt ſo wenig, ja faſt nichts
ſind. Das aͤngſtliche Herumtreiben der Auf-
waͤrter, die groͤßere Leere der Zimmer, der Ge-
danke der Reiſe, — alles giebt dann eine dun-
kle Allegorie von der widrigen Maſchinerie des
menſchlichen Lebens, wo alle Raͤder und alle
Getriebe ſo kreiſchend hervorſchreien, wo das
Beduͤrfniß die erſte bewegende Kraft iſt. Dann
gehn Berge und Thaͤler wie Schatten meinem
Sinn voruͤber, ich erwarte den Anbruch des
Tages mit einer Aengſtlichkeit, als wenn ich
ſterben ſollte.
Mit dem erſten Ruck des Wagens hoͤren
dann gewoͤhnlich meine Beklemmungen auf, ich
vergeſſe denn, daß ich den Ort, den ich verlaſ-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/396>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.