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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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ner Abreise, man ist ermüdet und verwirrt vom
Einpacken und Anordnen, wobey endlich die Fin-
sterniß hereinbricht, und man mit dem Lichte
bald in dieses, bald in jenes Zimmer wandert,
um nur nichts zu vergessen; Koffer und Man-
telsäcke werden dann zugeschlossen, und wir
werden so recht darauf aufmerksam gemacht,
wie unser ganzes Leben aus so elenden Bedürf-
nissen zusammengeflickt ist, wie wir mit einem
Praß von unnützen Nothwendigkeiten beladen,
wie wir an uns selbst so wenig, ja fast nichts
sind. Das ängstliche Herumtreiben der Auf-
wärter, die größere Leere der Zimmer, der Ge-
danke der Reise, -- alles giebt dann eine dun-
kle Allegorie von der widrigen Maschinerie des
menschlichen Lebens, wo alle Räder und alle
Getriebe so kreischend hervorschreien, wo das
Bedürfniß die erste bewegende Kraft ist. Dann
gehn Berge und Thäler wie Schatten meinem
Sinn vorüber, ich erwarte den Anbruch des
Tages mit einer Aengstlichkeit, als wenn ich
sterben sollte.

Mit dem ersten Ruck des Wagens hören
dann gewöhnlich meine Beklemmungen auf, ich
vergesse denn, daß ich den Ort, den ich verlas-

ner Abreiſe, man iſt ermuͤdet und verwirrt vom
Einpacken und Anordnen, wobey endlich die Fin-
ſterniß hereinbricht, und man mit dem Lichte
bald in dieſes, bald in jenes Zimmer wandert,
um nur nichts zu vergeſſen; Koffer und Man-
telſaͤcke werden dann zugeſchloſſen, und wir
werden ſo recht darauf aufmerkſam gemacht,
wie unſer ganzes Leben aus ſo elenden Beduͤrf-
niſſen zuſammengeflickt iſt, wie wir mit einem
Praß von unnuͤtzen Nothwendigkeiten beladen,
wie wir an uns ſelbſt ſo wenig, ja faſt nichts
ſind. Das aͤngſtliche Herumtreiben der Auf-
waͤrter, die groͤßere Leere der Zimmer, der Ge-
danke der Reiſe, — alles giebt dann eine dun-
kle Allegorie von der widrigen Maſchinerie des
menſchlichen Lebens, wo alle Raͤder und alle
Getriebe ſo kreiſchend hervorſchreien, wo das
Beduͤrfniß die erſte bewegende Kraft iſt. Dann
gehn Berge und Thaͤler wie Schatten meinem
Sinn voruͤber, ich erwarte den Anbruch des
Tages mit einer Aengſtlichkeit, als wenn ich
ſterben ſollte.

Mit dem erſten Ruck des Wagens hoͤren
dann gewoͤhnlich meine Beklemmungen auf, ich
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[390/0396] ner Abreiſe, man iſt ermuͤdet und verwirrt vom Einpacken und Anordnen, wobey endlich die Fin- ſterniß hereinbricht, und man mit dem Lichte bald in dieſes, bald in jenes Zimmer wandert, um nur nichts zu vergeſſen; Koffer und Man- telſaͤcke werden dann zugeſchloſſen, und wir werden ſo recht darauf aufmerkſam gemacht, wie unſer ganzes Leben aus ſo elenden Beduͤrf- niſſen zuſammengeflickt iſt, wie wir mit einem Praß von unnuͤtzen Nothwendigkeiten beladen, wie wir an uns ſelbſt ſo wenig, ja faſt nichts ſind. Das aͤngſtliche Herumtreiben der Auf- waͤrter, die groͤßere Leere der Zimmer, der Ge- danke der Reiſe, — alles giebt dann eine dun- kle Allegorie von der widrigen Maſchinerie des menſchlichen Lebens, wo alle Raͤder und alle Getriebe ſo kreiſchend hervorſchreien, wo das Beduͤrfniß die erſte bewegende Kraft iſt. Dann gehn Berge und Thaͤler wie Schatten meinem Sinn voruͤber, ich erwarte den Anbruch des Tages mit einer Aengſtlichkeit, als wenn ich ſterben ſollte. Mit dem erſten Ruck des Wagens hoͤren dann gewoͤhnlich meine Beklemmungen auf, ich vergeſſe denn, daß ich den Ort, den ich verlaſ-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/396>, abgerufen am 09.11.2024.