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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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Gräßlich werden wir zurückgehalten, und die
Kette wird immer kürzer und kürzer. Alle täu-
schenden Freuden schlagen rauschend die Flügel
aus einander und sind im Umsehn entflogen.
Der Putz des Lebens veraltet und zerfällt in
Lumpen; alle Gebrechen werden sichtbar.

Einsam steh ich, mir selbst meine Qual und
mein Henker, in der Ferne hör' ich die Ketten
der andern rasseln. -- Schauder stehn vor un-
serm Gefängnisse zur Wacht. -- Da läßt sich
keiner bestechen, -- eisenfest und unwandelbar
stehn sie da. -- --

Ich habe den Ruf vom jenseitigen Ufer ge-
hört; ich habe den seltsamen Wink verstanden,
und das Boot eilt schon herüber, mich abzu-
holen; ich trage meine Sünden in meiner Hand
und gebe sie als Fährgeld ab. -- -- Die Wo-
gen rauschen, es schwankt das Boot, das
Steuer ächzt, und bald tret ich an das düstre
fremde Gestade, und in doppelter Vereinigung
kommen mir alle meine Schmerzen entgegen.

Gestern war ich bey Andrea und seiner Ge-
sellschaft. Sie sprachen viel durcheinander und
saßen in Reihen hinab, wie gefüllte Bilder aus
Erde. Alle waren mir fremd und armseelig,

Graͤßlich werden wir zuruͤckgehalten, und die
Kette wird immer kuͤrzer und kuͤrzer. Alle taͤu-
ſchenden Freuden ſchlagen rauſchend die Fluͤgel
aus einander und ſind im Umſehn entflogen.
Der Putz des Lebens veraltet und zerfaͤllt in
Lumpen; alle Gebrechen werden ſichtbar.

Einſam ſteh ich, mir ſelbſt meine Qual und
mein Henker, in der Ferne hoͤr’ ich die Ketten
der andern raſſeln. — Schauder ſtehn vor un-
ſerm Gefaͤngniſſe zur Wacht. — Da laͤßt ſich
keiner beſtechen, — eiſenfeſt und unwandelbar
ſtehn ſie da. — —

Ich habe den Ruf vom jenſeitigen Ufer ge-
hoͤrt; ich habe den ſeltſamen Wink verſtanden,
und das Boot eilt ſchon heruͤber, mich abzu-
holen; ich trage meine Suͤnden in meiner Hand
und gebe ſie als Faͤhrgeld ab. — — Die Wo-
gen rauſchen, es ſchwankt das Boot, das
Steuer aͤchzt, und bald tret ich an das duͤſtre
fremde Geſtade, und in doppelter Vereinigung
kommen mir alle meine Schmerzen entgegen.

Geſtern war ich bey Andrea und ſeiner Ge-
ſellſchaft. Sie ſprachen viel durcheinander und
ſaßen in Reihen hinab, wie gefuͤllte Bilder aus
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[322/0328] Graͤßlich werden wir zuruͤckgehalten, und die Kette wird immer kuͤrzer und kuͤrzer. Alle taͤu- ſchenden Freuden ſchlagen rauſchend die Fluͤgel aus einander und ſind im Umſehn entflogen. Der Putz des Lebens veraltet und zerfaͤllt in Lumpen; alle Gebrechen werden ſichtbar. Einſam ſteh ich, mir ſelbſt meine Qual und mein Henker, in der Ferne hoͤr’ ich die Ketten der andern raſſeln. — Schauder ſtehn vor un- ſerm Gefaͤngniſſe zur Wacht. — Da laͤßt ſich keiner beſtechen, — eiſenfeſt und unwandelbar ſtehn ſie da. — — Ich habe den Ruf vom jenſeitigen Ufer ge- hoͤrt; ich habe den ſeltſamen Wink verſtanden, und das Boot eilt ſchon heruͤber, mich abzu- holen; ich trage meine Suͤnden in meiner Hand und gebe ſie als Faͤhrgeld ab. — — Die Wo- gen rauſchen, es ſchwankt das Boot, das Steuer aͤchzt, und bald tret ich an das duͤſtre fremde Geſtade, und in doppelter Vereinigung kommen mir alle meine Schmerzen entgegen. Geſtern war ich bey Andrea und ſeiner Ge- ſellſchaft. Sie ſprachen viel durcheinander und ſaßen in Reihen hinab, wie gefuͤllte Bilder aus Erde. Alle waren mir fremd und armſeelig,

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/328>, abgerufen am 22.11.2024.