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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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sam und geheimnißvoll zu wirken. Ich hatte so
manches von abentheuerlichen und unsinnigen Ce-
remonien sogar in Büchern gelesen, und alles
war mir immer als äußerst abgeschmackt erschie-
nen; ich machte mich daher gegen Gebräuche
und Einweihungsfeyerlichkeiten gleichsam fest,
und als ich Andrea hinbegleitete, war mir das
Gefühl sehr gegenwärtig, daß nichts auf mich
wirken würde, was sonst unsre Phantasie so
leicht in Aufruhr setzt. Ich erstaunte und
schämte mich zu gleicher Zeit als ich ohne wei-
tere Umstände in ein Haus und dann in einen
geräumigen Saal geführt ward, in welchem sich
die Gesellschaft schon versammelt hatte. Ich
hatte mich gegen Abentheuerlichkeiten gewaffnet
und doch überlief mich nun ein feyerliches
Grauen als mir jeder von ihnen auf eine simple
Art die Hand gab und mich als Freund und
Bruder begrüßte. Ich stand versteinert unter
ihnen wie damals, als ich das erste große Ra-
phaelsche Gemählde betrachtete, denn noch nie
habe ich so viele charaktervolle Köpfe neben ein-
ander gesehn, noch nie hab' ich in einer großen
Gesellschaft ein so ruhiges und gedankenreiches
Gespräch gehört.


ſam und geheimnißvoll zu wirken. Ich hatte ſo
manches von abentheuerlichen und unſinnigen Ce-
remonien ſogar in Buͤchern geleſen, und alles
war mir immer als aͤußerſt abgeſchmackt erſchie-
nen; ich machte mich daher gegen Gebraͤuche
und Einweihungsfeyerlichkeiten gleichſam feſt,
und als ich Andrea hinbegleitete, war mir das
Gefuͤhl ſehr gegenwaͤrtig, daß nichts auf mich
wirken wuͤrde, was ſonſt unſre Phantaſie ſo
leicht in Aufruhr ſetzt. Ich erſtaunte und
ſchaͤmte mich zu gleicher Zeit als ich ohne wei-
tere Umſtaͤnde in ein Haus und dann in einen
geraͤumigen Saal gefuͤhrt ward, in welchem ſich
die Geſellſchaft ſchon verſammelt hatte. Ich
hatte mich gegen Abentheuerlichkeiten gewaffnet
und doch uͤberlief mich nun ein feyerliches
Grauen als mir jeder von ihnen auf eine ſimple
Art die Hand gab und mich als Freund und
Bruder begruͤßte. Ich ſtand verſteinert unter
ihnen wie damals, als ich das erſte große Ra-
phaelſche Gemaͤhlde betrachtete, denn noch nie
habe ich ſo viele charaktervolle Koͤpfe neben ein-
ander geſehn, noch nie hab’ ich in einer großen
Geſellſchaft ein ſo ruhiges und gedankenreiches
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[303/0309] ſam und geheimnißvoll zu wirken. Ich hatte ſo manches von abentheuerlichen und unſinnigen Ce- remonien ſogar in Buͤchern geleſen, und alles war mir immer als aͤußerſt abgeſchmackt erſchie- nen; ich machte mich daher gegen Gebraͤuche und Einweihungsfeyerlichkeiten gleichſam feſt, und als ich Andrea hinbegleitete, war mir das Gefuͤhl ſehr gegenwaͤrtig, daß nichts auf mich wirken wuͤrde, was ſonſt unſre Phantaſie ſo leicht in Aufruhr ſetzt. Ich erſtaunte und ſchaͤmte mich zu gleicher Zeit als ich ohne wei- tere Umſtaͤnde in ein Haus und dann in einen geraͤumigen Saal gefuͤhrt ward, in welchem ſich die Geſellſchaft ſchon verſammelt hatte. Ich hatte mich gegen Abentheuerlichkeiten gewaffnet und doch uͤberlief mich nun ein feyerliches Grauen als mir jeder von ihnen auf eine ſimple Art die Hand gab und mich als Freund und Bruder begruͤßte. Ich ſtand verſteinert unter ihnen wie damals, als ich das erſte große Ra- phaelſche Gemaͤhlde betrachtete, denn noch nie habe ich ſo viele charaktervolle Koͤpfe neben ein- ander geſehn, noch nie hab’ ich in einer großen Geſellſchaft ein ſo ruhiges und gedankenreiches Geſpraͤch gehoͤrt.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/309>, abgerufen am 21.11.2024.