Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

fältigen Menschen, weil ich immer meyne, er
trägt unter seinem schlechten Ueberrocke ein kost-
bares Unterfutter.

Wenn ich erst zu Hause bin, und Dich be-
suche, will ich Dir sehr viel von meiner Reise
erzählen. Das ist denn doch am Ende meine
ganze Freude, die ich in der langen Zeit ge-
habt habe.

Hier in Paris bin ich ordentlich wie zu Hau-
se, so bekannt ist mir noch alles, und alles ist
noch gerade so, wie damals, als ich hier war.
Es ist eine närrische Gotteswelt, in der wir le-
ben, und sie könnte gewiß besser seyn, wenn
alle Menschen sich nur für Arbeiter in dem
Weinberge hielten, aber alle wollen essen, und
viele thun doch gar nichts, sondern verderben
noch im Gegentheile die Reben, und stören an-
dre Menschen in der Arbeit; und das soll denn
heißen, daß sie den ganzen Weinberg regieren
und in Ordnung halten.

In mehr die Menschen nach obenhin klettern,
je mehr vergessen sie, daß sie auch nur Men-
schen sind, sie kennen dann ihre armen Brüder
nicht mehr, und Gott nicht mehr. Die Got
tesfurcht wohnt überhaupt nur bey den armen

faͤltigen Menſchen, weil ich immer meyne, er
traͤgt unter ſeinem ſchlechten Ueberrocke ein koſt-
bares Unterfutter.

Wenn ich erſt zu Hauſe bin, und Dich be-
ſuche, will ich Dir ſehr viel von meiner Reiſe
erzaͤhlen. Das iſt denn doch am Ende meine
ganze Freude, die ich in der langen Zeit ge-
habt habe.

Hier in Paris bin ich ordentlich wie zu Hau-
ſe, ſo bekannt iſt mir noch alles, und alles iſt
noch gerade ſo, wie damals, als ich hier war.
Es iſt eine naͤrriſche Gotteswelt, in der wir le-
ben, und ſie koͤnnte gewiß beſſer ſeyn, wenn
alle Menſchen ſich nur fuͤr Arbeiter in dem
Weinberge hielten, aber alle wollen eſſen, und
viele thun doch gar nichts, ſondern verderben
noch im Gegentheile die Reben, und ſtoͤren an-
dre Menſchen in der Arbeit; und das ſoll denn
heißen, daß ſie den ganzen Weinberg regieren
und in Ordnung halten.

In mehr die Menſchen nach obenhin klettern,
je mehr vergeſſen ſie, daß ſie auch nur Men-
ſchen ſind, ſie kennen dann ihre armen Bruͤder
nicht mehr, und Gott nicht mehr. Die Got
tesfurcht wohnt uͤberhaupt nur bey den armen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0286" n="280"/>
fa&#x0364;ltigen Men&#x017F;chen, weil ich immer meyne, er<lb/>
tra&#x0364;gt unter &#x017F;einem &#x017F;chlechten Ueberrocke ein ko&#x017F;t-<lb/>
bares Unterfutter.</p><lb/>
          <p>Wenn ich er&#x017F;t zu Hau&#x017F;e bin, und Dich be-<lb/>
&#x017F;uche, will ich Dir &#x017F;ehr viel von meiner Rei&#x017F;e<lb/>
erza&#x0364;hlen. Das i&#x017F;t denn doch am Ende meine<lb/>
ganze Freude, die ich in der langen Zeit ge-<lb/>
habt habe.</p><lb/>
          <p>Hier in Paris bin ich ordentlich wie zu Hau-<lb/>
&#x017F;e, &#x017F;o bekannt i&#x017F;t mir noch alles, und alles i&#x017F;t<lb/>
noch gerade &#x017F;o, wie damals, als ich hier war.<lb/>
Es i&#x017F;t eine na&#x0364;rri&#x017F;che Gotteswelt, in der wir le-<lb/>
ben, und &#x017F;ie ko&#x0364;nnte gewiß be&#x017F;&#x017F;er &#x017F;eyn, wenn<lb/>
alle Men&#x017F;chen &#x017F;ich nur fu&#x0364;r Arbeiter in dem<lb/>
Weinberge hielten, aber alle wollen e&#x017F;&#x017F;en, und<lb/>
viele thun doch gar nichts, &#x017F;ondern verderben<lb/>
noch im Gegentheile die Reben, und &#x017F;to&#x0364;ren an-<lb/>
dre Men&#x017F;chen in der Arbeit; und das &#x017F;oll denn<lb/>
heißen, daß &#x017F;ie den ganzen Weinberg regieren<lb/>
und in Ordnung halten.</p><lb/>
          <p>In mehr die Men&#x017F;chen nach obenhin klettern,<lb/>
je mehr verge&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie, daß &#x017F;ie auch nur Men-<lb/>
&#x017F;chen &#x017F;ind, &#x017F;ie kennen dann ihre armen Bru&#x0364;der<lb/>
nicht mehr, und Gott nicht mehr. Die Got<lb/>
tesfurcht wohnt u&#x0364;berhaupt nur bey den armen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[280/0286] faͤltigen Menſchen, weil ich immer meyne, er traͤgt unter ſeinem ſchlechten Ueberrocke ein koſt- bares Unterfutter. Wenn ich erſt zu Hauſe bin, und Dich be- ſuche, will ich Dir ſehr viel von meiner Reiſe erzaͤhlen. Das iſt denn doch am Ende meine ganze Freude, die ich in der langen Zeit ge- habt habe. Hier in Paris bin ich ordentlich wie zu Hau- ſe, ſo bekannt iſt mir noch alles, und alles iſt noch gerade ſo, wie damals, als ich hier war. Es iſt eine naͤrriſche Gotteswelt, in der wir le- ben, und ſie koͤnnte gewiß beſſer ſeyn, wenn alle Menſchen ſich nur fuͤr Arbeiter in dem Weinberge hielten, aber alle wollen eſſen, und viele thun doch gar nichts, ſondern verderben noch im Gegentheile die Reben, und ſtoͤren an- dre Menſchen in der Arbeit; und das ſoll denn heißen, daß ſie den ganzen Weinberg regieren und in Ordnung halten. In mehr die Menſchen nach obenhin klettern, je mehr vergeſſen ſie, daß ſie auch nur Men- ſchen ſind, ſie kennen dann ihre armen Bruͤder nicht mehr, und Gott nicht mehr. Die Got tesfurcht wohnt uͤberhaupt nur bey den armen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/286
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/286>, abgerufen am 22.05.2024.