Du ziehst Dich von mir zurück, seit unsre Meinungen sich getrennt haben, und Deine Freundschaft für mich entstand vielleicht blos, weil ich Deine Eitelkeit nährte. Ich schien ein so schönes Echo von Dir zu werden, eine Kopie von Dir, die das Original nur um so mehr he- ben sollte, Deine ganze Liebe äußerte sich im Hofmeistern, und eben darum wurdest Du ei- fersüchtig, weil Du in dem irrigen Wahne stan- dest, ich spreche jetzt die Worte eines andern nach. -- O welche Wuth hat die Menschen denn besessen, daß sie stets ihre Meinungen ver- breiten wollen! -- Daß sie aus allen, mit de- nen sie umgehen, Spiegel zu schleifen suchen, in denen sich ihre eigne werthe Person präsen- tirt! -- Wo ist denn hier die reine, gepriesene Liebe? O ihr Prahler, die ihr euch selber so augenscheinlich widersprecht!
Ach, wenn ich den trüben Strom meiner Erfahrungen hinuntergehe, und daran denke, aus wie seltsamen Vorfällen sich so oft mein Leben zusammenfügte! Wie gedemüthigt stehe ich dann an denselben Plätzen, an denen ich mich ehemals so groß und edel fühlte, blos weil ich mir selber meine innern Empfindungen ab-
Du ziehſt Dich von mir zuruͤck, ſeit unſre Meinungen ſich getrennt haben, und Deine Freundſchaft fuͤr mich entſtand vielleicht blos, weil ich Deine Eitelkeit naͤhrte. Ich ſchien ein ſo ſchoͤnes Echo von Dir zu werden, eine Kopie von Dir, die das Original nur um ſo mehr he- ben ſollte, Deine ganze Liebe aͤußerte ſich im Hofmeiſtern, und eben darum wurdeſt Du ei- ferſuͤchtig, weil Du in dem irrigen Wahne ſtan- deſt, ich ſpreche jetzt die Worte eines andern nach. — O welche Wuth hat die Menſchen denn beſeſſen, daß ſie ſtets ihre Meinungen ver- breiten wollen! — Daß ſie aus allen, mit de- nen ſie umgehen, Spiegel zu ſchleifen ſuchen, in denen ſich ihre eigne werthe Perſon praͤſen- tirt! — Wo iſt denn hier die reine, geprieſene Liebe? O ihr Prahler, die ihr euch ſelber ſo augenſcheinlich widerſprecht!
Ach, wenn ich den truͤben Strom meiner Erfahrungen hinuntergehe, und daran denke, aus wie ſeltſamen Vorfaͤllen ſich ſo oft mein Leben zuſammenfuͤgte! Wie gedemuͤthigt ſtehe ich dann an denſelben Plaͤtzen, an denen ich mich ehemals ſo groß und edel fuͤhlte, blos weil ich mir ſelber meine innern Empfindungen ab-
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Du ziehſt Dich von mir zuruͤck, ſeit unſre
Meinungen ſich getrennt haben, und Deine
Freundſchaft fuͤr mich entſtand vielleicht blos,
weil ich Deine Eitelkeit naͤhrte. Ich ſchien ein
ſo ſchoͤnes Echo von Dir zu werden, eine Kopie
von Dir, die das Original nur um ſo mehr he-
ben ſollte, Deine ganze Liebe aͤußerte ſich im
Hofmeiſtern, und eben darum wurdeſt Du ei-
ferſuͤchtig, weil Du in dem irrigen Wahne ſtan-
deſt, ich ſpreche jetzt die Worte eines andern
nach. — O welche Wuth hat die Menſchen
denn beſeſſen, daß ſie ſtets ihre Meinungen ver-
breiten wollen! — Daß ſie aus allen, mit de-
nen ſie umgehen, Spiegel zu ſchleifen ſuchen,
in denen ſich ihre eigne werthe Perſon praͤſen-
tirt! — Wo iſt denn hier die reine, geprieſene
Liebe? O ihr Prahler, die ihr euch ſelber ſo
augenſcheinlich widerſprecht!
Ach, wenn ich den truͤben Strom meiner
Erfahrungen hinuntergehe, und daran denke,
aus wie ſeltſamen Vorfaͤllen ſich ſo oft mein
Leben zuſammenfuͤgte! Wie gedemuͤthigt ſtehe
ich dann an denſelben Plaͤtzen, an denen ich
mich ehemals ſo groß und edel fuͤhlte, blos weil
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/245>, abgerufen am 21.11.2024.
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