Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

straße gefunden, und ein Vorübergehender hatte
ihn zufälliger Weise erkannt. Sagen Sie, was
Sie wollen, es ist nicht möglich, daß ich Schuld
an seinem Tode seyn sollte, wenigstens kann ich
es nicht glauben. Er ist von Natur gestorben,
und was kümmert er mich nun weiter? An jener
unbedeutenden Streifwunde kann unmöglich ein
so rauher, eisenfester Mensch verbluten: und
wenn es der Fall seyn könnte, so würde ich es
wahrhaftig nur sehr lächerlich finden, daß wir,
wie eine gesprungene Flasche, auslaufen können,
und mit den wenigen rothen Tropfen alle un-
sere Plane und Gedanken, die ganze Zukunft,
in der wir leben konnten, alles was wir noch
hätten thun können. Aber wie gesagt, ich glau-
be es nicht, und kein Mensch wird mich davon
überreden.

Es war ein groß Geheul im Hause, vorzüg-
lich von der Alten; Rosaline grämte sich auch,
aber ich bemerkte deutlich, wie sie sich im Stil-
len von leisen Gedanken trösten ließ. Ich ging
fort, weil mir die Scene zur Last fiel, und
fand Nachmittag Rosalinen allein, in Thränen
gebadet. Die Alte war ausgegangen, und kam
vor dem Abende nicht wieder. O wie sie schön

ſtraße gefunden, und ein Voruͤbergehender hatte
ihn zufaͤlliger Weiſe erkannt. Sagen Sie, was
Sie wollen, es iſt nicht moͤglich, daß ich Schuld
an ſeinem Tode ſeyn ſollte, wenigſtens kann ich
es nicht glauben. Er iſt von Natur geſtorben,
und was kuͤmmert er mich nun weiter? An jener
unbedeutenden Streifwunde kann unmoͤglich ein
ſo rauher, eiſenfeſter Menſch verbluten: und
wenn es der Fall ſeyn koͤnnte, ſo wuͤrde ich es
wahrhaftig nur ſehr laͤcherlich finden, daß wir,
wie eine geſprungene Flaſche, auslaufen koͤnnen,
und mit den wenigen rothen Tropfen alle un-
ſere Plane und Gedanken, die ganze Zukunft,
in der wir leben konnten, alles was wir noch
haͤtten thun koͤnnen. Aber wie geſagt, ich glau-
be es nicht, und kein Menſch wird mich davon
uͤberreden.

Es war ein groß Geheul im Hauſe, vorzuͤg-
lich von der Alten; Roſaline graͤmte ſich auch,
aber ich bemerkte deutlich, wie ſie ſich im Stil-
len von leiſen Gedanken troͤſten ließ. Ich ging
fort, weil mir die Scene zur Laſt fiel, und
fand Nachmittag Roſalinen allein, in Thraͤnen
gebadet. Die Alte war ausgegangen, und kam
vor dem Abende nicht wieder. O wie ſie ſchoͤn

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0191" n="185"/>
&#x017F;traße gefunden, und ein Voru&#x0364;bergehender hatte<lb/>
ihn zufa&#x0364;lliger <choice><sic>Weife</sic><corr>Wei&#x017F;e</corr></choice> erkannt. Sagen Sie, was<lb/>
Sie wollen, es i&#x017F;t nicht mo&#x0364;glich, daß ich Schuld<lb/>
an &#x017F;einem Tode &#x017F;eyn &#x017F;ollte, wenig&#x017F;tens kann <hi rendition="#g">ich</hi><lb/>
es nicht glauben. Er i&#x017F;t von Natur ge&#x017F;torben,<lb/>
und was ku&#x0364;mmert er mich nun weiter? An jener<lb/>
unbedeutenden Streifwunde kann unmo&#x0364;glich ein<lb/>
&#x017F;o rauher, ei&#x017F;enfe&#x017F;ter Men&#x017F;ch verbluten: und<lb/>
wenn es der Fall &#x017F;eyn ko&#x0364;nnte, &#x017F;o wu&#x0364;rde ich es<lb/>
wahrhaftig nur &#x017F;ehr la&#x0364;cherlich finden, daß wir,<lb/>
wie eine ge&#x017F;prungene Fla&#x017F;che, auslaufen ko&#x0364;nnen,<lb/>
und mit den wenigen rothen Tropfen alle un-<lb/>
&#x017F;ere Plane und Gedanken, die ganze Zukunft,<lb/>
in der wir leben konnten, alles was wir noch<lb/>
ha&#x0364;tten thun ko&#x0364;nnen. Aber wie ge&#x017F;agt, ich glau-<lb/>
be es nicht, und kein Men&#x017F;ch wird mich davon<lb/>
u&#x0364;berreden.</p><lb/>
          <p>Es war ein groß Geheul im Hau&#x017F;e, vorzu&#x0364;g-<lb/>
lich von der Alten; Ro&#x017F;aline gra&#x0364;mte &#x017F;ich auch,<lb/>
aber ich bemerkte deutlich, wie &#x017F;ie &#x017F;ich im Stil-<lb/>
len von lei&#x017F;en Gedanken tro&#x0364;&#x017F;ten ließ. Ich ging<lb/>
fort, weil mir die Scene zur La&#x017F;t fiel, und<lb/>
fand Nachmittag Ro&#x017F;alinen allein, in Thra&#x0364;nen<lb/>
gebadet. Die Alte war ausgegangen, und kam<lb/>
vor dem Abende nicht wieder. O wie &#x017F;ie &#x017F;cho&#x0364;n<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[185/0191] ſtraße gefunden, und ein Voruͤbergehender hatte ihn zufaͤlliger Weiſe erkannt. Sagen Sie, was Sie wollen, es iſt nicht moͤglich, daß ich Schuld an ſeinem Tode ſeyn ſollte, wenigſtens kann ich es nicht glauben. Er iſt von Natur geſtorben, und was kuͤmmert er mich nun weiter? An jener unbedeutenden Streifwunde kann unmoͤglich ein ſo rauher, eiſenfeſter Menſch verbluten: und wenn es der Fall ſeyn koͤnnte, ſo wuͤrde ich es wahrhaftig nur ſehr laͤcherlich finden, daß wir, wie eine geſprungene Flaſche, auslaufen koͤnnen, und mit den wenigen rothen Tropfen alle un- ſere Plane und Gedanken, die ganze Zukunft, in der wir leben konnten, alles was wir noch haͤtten thun koͤnnen. Aber wie geſagt, ich glau- be es nicht, und kein Menſch wird mich davon uͤberreden. Es war ein groß Geheul im Hauſe, vorzuͤg- lich von der Alten; Roſaline graͤmte ſich auch, aber ich bemerkte deutlich, wie ſie ſich im Stil- len von leiſen Gedanken troͤſten ließ. Ich ging fort, weil mir die Scene zur Laſt fiel, und fand Nachmittag Roſalinen allein, in Thraͤnen gebadet. Die Alte war ausgegangen, und kam vor dem Abende nicht wieder. O wie ſie ſchoͤn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/191
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/191>, abgerufen am 22.11.2024.