Es ist wunderbar, wie lange ich in dem Vor- hofe der Seeligkeit aufgehalten werde; tausend Zufälle vereinigen sich, um mich immer wieder von der höchsten Wonne zu entfernen. Rosaline ist mein, unbedingt mein. -- Sie hatte sich neulich für meine Bitten erweicht, und mir versprochen, mich in der Nacht heimlich zu sich kommen zu lassen, aber die Mutter wurde krank, und sie mußte bey ihrem Bette wachen. Welche Nacht hatt' ich! Die Sehnsucht regte sich mit allen ihren Gefühlen in mir, ich konnte nicht eine Minute schlafen, und doch auch nicht wa- chen. Ich lag in einer Art von Betäubung, in der sich Bilder auf Bilder drängten, und mein kleines Zimmer zum Tummelplatze der verwor- rensten Scenen machten. Es war eine Art von Fieberzustand, in welchem mir hundert Sachen einfielen, über die ich noch lange werde denken und träumen können.
46. William Lovell an Roſa.
Rom.
Es iſt wunderbar, wie lange ich in dem Vor- hofe der Seeligkeit aufgehalten werde; tauſend Zufaͤlle vereinigen ſich, um mich immer wieder von der hoͤchſten Wonne zu entfernen. Roſaline iſt mein, unbedingt mein. — Sie hatte ſich neulich fuͤr meine Bitten erweicht, und mir verſprochen, mich in der Nacht heimlich zu ſich kommen zu laſſen, aber die Mutter wurde krank, und ſie mußte bey ihrem Bette wachen. Welche Nacht hatt’ ich! Die Sehnſucht regte ſich mit allen ihren Gefuͤhlen in mir, ich konnte nicht eine Minute ſchlafen, und doch auch nicht wa- chen. Ich lag in einer Art von Betaͤubung, in der ſich Bilder auf Bilder draͤngten, und mein kleines Zimmer zum Tummelplatze der verwor- renſten Scenen machten. Es war eine Art von Fieberzuſtand, in welchem mir hundert Sachen einfielen, uͤber die ich noch lange werde denken und traͤumen koͤnnen.
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46.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Es iſt wunderbar, wie lange ich in dem Vor-
hofe der Seeligkeit aufgehalten werde; tauſend
Zufaͤlle vereinigen ſich, um mich immer wieder
von der hoͤchſten Wonne zu entfernen. Roſaline
iſt mein, unbedingt mein. — Sie hatte ſich
neulich fuͤr meine Bitten erweicht, und mir
verſprochen, mich in der Nacht heimlich zu ſich
kommen zu laſſen, aber die Mutter wurde krank,
und ſie mußte bey ihrem Bette wachen. Welche
Nacht hatt’ ich! Die Sehnſucht regte ſich mit
allen ihren Gefuͤhlen in mir, ich konnte nicht
eine Minute ſchlafen, und doch auch nicht wa-
chen. Ich lag in einer Art von Betaͤubung, in
der ſich Bilder auf Bilder draͤngten, und mein
kleines Zimmer zum Tummelplatze der verwor-
renſten Scenen machten. Es war eine Art von
Fieberzuſtand, in welchem mir hundert Sachen
einfielen, uͤber die ich noch lange werde denken
und traͤumen koͤnnen.
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/179>, abgerufen am 24.11.2024.
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