die Menschen nicht, ein Herz zu haben und ihre Gefühle zu bekennen, -- o Amalie! unaufhör- lich denk' ich an dich! Ich erwarte nun bald ei- nen Brief von ihr, ich habe ihr schon geschrie- ben. -- An diesen Nahmen knüpfen sich tau- send süsse und bittre, schwermüthige und frohe Empfindungen: diese Hofnung ist eine Sonne, die meine neblichten Tage vergoldet, in Ama- liens Busen liegt der Schatz, der mich einst glücklich machen muß. -- Ohne ihre Liebe hab' ich keinen Begriff von Glück, und daß ich sie einst weniger lieben könnte, ist mir undenkbar. --
Ich habe indeß schon manche schönere Ge- stalt gesehn, als Amalie ist, aber ich habe im- mer selbst in meinem Herzen darüber triumphirt, wie sie in meiner Phantasie über alle übrigen hinwegragt. Sie gehört nicht zu jenen Schön- heiten, die das Auge augenblicklich fesseln und die Seele kalt und erstorben lassen; so ist die Nichte eines Grafen Melun hier vielleicht das reizendste weibliche Geschöpf, das ich je gese- hen habe, aber das imponirende ihrer feurigen Lebhaftigkeit ist sehr von jener holdseeligen Herr- schaft verschieden, die ausAmalien's Augen
die Menſchen nicht, ein Herz zu haben und ihre Gefuͤhle zu bekennen, — o Amalie! unaufhoͤr- lich denk’ ich an dich! Ich erwarte nun bald ei- nen Brief von ihr, ich habe ihr ſchon geſchrie- ben. — An dieſen Nahmen knuͤpfen ſich tau- ſend ſuͤſſe und bittre, ſchwermuͤthige und frohe Empfindungen: dieſe Hofnung iſt eine Sonne, die meine neblichten Tage vergoldet, in Ama- liens Buſen liegt der Schatz, der mich einſt gluͤcklich machen muß. — Ohne ihre Liebe hab’ ich keinen Begriff von Gluͤck, und daß ich ſie einſt weniger lieben koͤnnte, iſt mir undenkbar. —
Ich habe indeß ſchon manche ſchoͤnere Ge- ſtalt geſehn, als Amalie iſt, aber ich habe im- mer ſelbſt in meinem Herzen daruͤber triumphirt, wie ſie in meiner Phantaſie uͤber alle uͤbrigen hinwegragt. Sie gehoͤrt nicht zu jenen Schoͤn- heiten, die das Auge augenblicklich feſſeln und die Seele kalt und erſtorben laſſen; ſo iſt die Nichte eines Grafen Melun hier vielleicht das reizendſte weibliche Geſchoͤpf, das ich je geſe- hen habe, aber das imponirende ihrer feurigen Lebhaftigkeit iſt ſehr von jener holdſeeligen Herr- ſchaft verſchieden, die ausAmalien’s Augen
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[90[88]/0098]
die Menſchen nicht, ein Herz zu haben und ihre
Gefuͤhle zu bekennen, — o Amalie! unaufhoͤr-
lich denk’ ich an dich! Ich erwarte nun bald ei-
nen Brief von ihr, ich habe ihr ſchon geſchrie-
ben. — An dieſen Nahmen knuͤpfen ſich tau-
ſend ſuͤſſe und bittre, ſchwermuͤthige und frohe
Empfindungen: dieſe Hofnung iſt eine Sonne,
die meine neblichten Tage vergoldet, in Ama-
liens Buſen liegt der Schatz, der mich einſt
gluͤcklich machen muß. — Ohne ihre Liebe hab’
ich keinen Begriff von Gluͤck, und daß ich ſie
einſt weniger lieben koͤnnte, iſt mir undenkbar. —
Ich habe indeß ſchon manche ſchoͤnere Ge-
ſtalt geſehn, als Amalie iſt, aber ich habe im-
mer ſelbſt in meinem Herzen daruͤber triumphirt,
wie ſie in meiner Phantaſie uͤber alle uͤbrigen
hinwegragt. Sie gehoͤrt nicht zu jenen Schoͤn-
heiten, die das Auge augenblicklich feſſeln und
die Seele kalt und erſtorben laſſen; ſo iſt die
Nichte eines Grafen Melun hier vielleicht das
reizendſte weibliche Geſchoͤpf, das ich je geſe-
hen habe, aber das imponirende ihrer feurigen
Lebhaftigkeit iſt ſehr von jener holdſeeligen Herr-
ſchaft verſchieden, die aus Amalien’s Augen
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 90[88]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/98>, abgerufen am 22.11.2024.
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