Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

ches Grauen befiel mich, so oft ich es betrach-
tete, und doch heftete sich mein Blick jedesmahl
unwillkührlich darauf, so oft ich durch dies
Zimmer ging, daher hat meine Phantasie bis
izt dies Bild so treu und fest aufbewahrt. Ich
habe auch nie jene kindische Furcht vor diesem
Kopfe ganz ablegen können: mein Vater sagte
mir, es wäre kein Portrait, sondern nur die
Idee eines sehr geschickten Mahlers.

Ich hatte den Brief an Dich geendigt, ich
gehe durch die Stadt, die Sonne war schon
untergegangen und ein rother Dämmerschein
flimmerte nur noch um die Dächer und auf den
freien Plätzen. Ich gehe zur Pyramide, der
ganze Platz war einsam, nur in der Ferne wan-
delte mir ein Wesen näher; als es etwas mehr
auf mich zukam zweifelte ich, ob es ein Mensch
sey, ich hielt es für einen Geist, so alt, zerfal-
len, bleich und unkenntlich schlich es einher, --
izt stand es mir gegenüber und -- -- Eduard,
Du erräthst es vielleicht, -- es war jenes
grauenhafte Bild meines Vaters
! --
Alle Gefühle meiner frühesten Kindheit kamen
mir plötzlich zurück, ich glaubte in Ohnmacht
zu sinken. -- Es war ganz derselbe, nur izt um

ches Grauen befiel mich, ſo oft ich es betrach-
tete, und doch heftete ſich mein Blick jedesmahl
unwillkuͤhrlich darauf, ſo oft ich durch dies
Zimmer ging, daher hat meine Phantaſie bis
izt dies Bild ſo treu und feſt aufbewahrt. Ich
habe auch nie jene kindiſche Furcht vor dieſem
Kopfe ganz ablegen koͤnnen: mein Vater ſagte
mir, es waͤre kein Portrait, ſondern nur die
Idee eines ſehr geſchickten Mahlers.

Ich hatte den Brief an Dich geendigt, ich
gehe durch die Stadt, die Sonne war ſchon
untergegangen und ein rother Daͤmmerſchein
flimmerte nur noch um die Daͤcher und auf den
freien Plaͤtzen. Ich gehe zur Pyramide, der
ganze Platz war einſam, nur in der Ferne wan-
delte mir ein Weſen naͤher; als es etwas mehr
auf mich zukam zweifelte ich, ob es ein Menſch
ſey, ich hielt es fuͤr einen Geiſt, ſo alt, zerfal-
len, bleich und unkenntlich ſchlich es einher, —
izt ſtand es mir gegenuͤber und — — Eduard,
Du erraͤthſt es vielleicht, — es war jenes
grauenhafte Bild meines Vaters
! —
Alle Gefuͤhle meiner fruͤheſten Kindheit kamen
mir ploͤtzlich zuruͤck, ich glaubte in Ohnmacht
zu ſinken. — Es war ganz derſelbe, nur izt um

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0286" n="278[276]"/>
ches Grauen befiel mich, &#x017F;o oft ich es betrach-<lb/>
tete, und doch heftete &#x017F;ich mein Blick jedesmahl<lb/>
unwillku&#x0364;hrlich darauf, &#x017F;o oft ich durch dies<lb/>
Zimmer ging, daher hat meine Phanta&#x017F;ie bis<lb/>
izt dies Bild &#x017F;o treu und fe&#x017F;t aufbewahrt. Ich<lb/>
habe auch nie jene kindi&#x017F;che Furcht vor die&#x017F;em<lb/>
Kopfe ganz ablegen ko&#x0364;nnen: mein Vater &#x017F;agte<lb/>
mir, es wa&#x0364;re kein Portrait, &#x017F;ondern nur die<lb/>
Idee eines &#x017F;ehr ge&#x017F;chickten Mahlers.</p><lb/>
          <p>Ich hatte den Brief an Dich geendigt, ich<lb/>
gehe durch die Stadt, die Sonne war &#x017F;chon<lb/>
untergegangen und ein rother Da&#x0364;mmer&#x017F;chein<lb/>
flimmerte nur noch um die Da&#x0364;cher und auf den<lb/>
freien Pla&#x0364;tzen. Ich gehe zur Pyramide, der<lb/>
ganze Platz war ein&#x017F;am, nur in der Ferne wan-<lb/>
delte mir ein We&#x017F;en na&#x0364;her; als es etwas mehr<lb/>
auf mich zukam zweifelte ich, ob es ein Men&#x017F;ch<lb/>
&#x017F;ey, ich hielt es fu&#x0364;r einen Gei&#x017F;t, &#x017F;o alt, zerfal-<lb/>
len, bleich und unkenntlich &#x017F;chlich es einher, &#x2014;<lb/>
izt &#x017F;tand es mir gegenu&#x0364;ber und &#x2014; &#x2014; Eduard,<lb/>
Du erra&#x0364;th&#x017F;t es vielleicht, &#x2014; <hi rendition="#g">es war jenes<lb/>
grauenhafte Bild meines Vaters</hi>! &#x2014;<lb/>
Alle Gefu&#x0364;hle meiner fru&#x0364;he&#x017F;ten Kindheit kamen<lb/>
mir plo&#x0364;tzlich zuru&#x0364;ck, ich glaubte in Ohnmacht<lb/>
zu &#x017F;inken. &#x2014; Es war ganz der&#x017F;elbe, nur izt um<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[278[276]/0286] ches Grauen befiel mich, ſo oft ich es betrach- tete, und doch heftete ſich mein Blick jedesmahl unwillkuͤhrlich darauf, ſo oft ich durch dies Zimmer ging, daher hat meine Phantaſie bis izt dies Bild ſo treu und feſt aufbewahrt. Ich habe auch nie jene kindiſche Furcht vor dieſem Kopfe ganz ablegen koͤnnen: mein Vater ſagte mir, es waͤre kein Portrait, ſondern nur die Idee eines ſehr geſchickten Mahlers. Ich hatte den Brief an Dich geendigt, ich gehe durch die Stadt, die Sonne war ſchon untergegangen und ein rother Daͤmmerſchein flimmerte nur noch um die Daͤcher und auf den freien Plaͤtzen. Ich gehe zur Pyramide, der ganze Platz war einſam, nur in der Ferne wan- delte mir ein Weſen naͤher; als es etwas mehr auf mich zukam zweifelte ich, ob es ein Menſch ſey, ich hielt es fuͤr einen Geiſt, ſo alt, zerfal- len, bleich und unkenntlich ſchlich es einher, — izt ſtand es mir gegenuͤber und — — Eduard, Du erraͤthſt es vielleicht, — es war jenes grauenhafte Bild meines Vaters! — Alle Gefuͤhle meiner fruͤheſten Kindheit kamen mir ploͤtzlich zuruͤck, ich glaubte in Ohnmacht zu ſinken. — Es war ganz derſelbe, nur izt um

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/286
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 278[276]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/286>, abgerufen am 09.05.2024.