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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

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ich und weidete mich an Träumen einer golde-
nen Zukunft, in der glücklichsten Beschränktheit
liebt' ich Gott wie einen Vater, die Menschen
wie Brüder und mich selbst als den Mittelpunkt
der Schöpfung, auf den die Natur mit allen
ihren Wohlthaten ziele. Itzt steh' ich vielleicht
auf der Stufe, von wo ich in die Schule des
Elends mit ernster Grausamkeit verwiesen wer-
de, um mich vom Kinde zum Manne zu bilden,
-- und werd' ich glücklicher seyn, als ich war,
wenn ich vom harten Unterrichte zurückkehre?

Und hab' ich denn ein Recht über mein Un-
glück zu klagen? und bin ich wirklich unglück-
lich? -- Liebt mich denn Amalie, ist sie mein,
daß mich ihre Entfernung traurig machen darf?
Bin ich nicht der Sohn eines zärtlichen Vaters,
der Freund eines edlen Freundes? und ich spre-
che von Elend? -- Wozu dieser Eigensinn, daß
ich mir einbilde, nur sie sei meine Seeligkeit?
Ja, Eduard, ich will meiner Schwäche wider-
stehn, aber Sehnsucht und Wünsche sind nicht
Verbrechen. Ich will nicht mit dem Schicksal
rechten, aber Klagen sind der Schwäche des
Menschen vergönnt; wer noch nie seufzte, hat
noch nie verlohren.


ich und weidete mich an Traͤumen einer golde-
nen Zukunft, in der gluͤcklichſten Beſchraͤnktheit
liebt’ ich Gott wie einen Vater, die Menſchen
wie Bruͤder und mich ſelbſt als den Mittelpunkt
der Schoͤpfung, auf den die Natur mit allen
ihren Wohlthaten ziele. Itzt ſteh’ ich vielleicht
auf der Stufe, von wo ich in die Schule des
Elends mit ernſter Grauſamkeit verwieſen wer-
de, um mich vom Kinde zum Manne zu bilden,
— und werd’ ich gluͤcklicher ſeyn, als ich war,
wenn ich vom harten Unterrichte zuruͤckkehre?

Und hab’ ich denn ein Recht uͤber mein Un-
gluͤck zu klagen? und bin ich wirklich ungluͤck-
lich? — Liebt mich denn Amalie, iſt ſie mein,
daß mich ihre Entfernung traurig machen darf?
Bin ich nicht der Sohn eines zaͤrtlichen Vaters,
der Freund eines edlen Freundes? und ich ſpre-
che von Elend? — Wozu dieſer Eigenſinn, daß
ich mir einbilde, nur ſie ſei meine Seeligkeit?
Ja, Eduard, ich will meiner Schwaͤche wider-
ſtehn, aber Sehnſucht und Wuͤnſche ſind nicht
Verbrechen. Ich will nicht mit dem Schickſal
rechten, aber Klagen ſind der Schwaͤche des
Menſchen vergoͤnnt; wer noch nie ſeufzte, hat
noch nie verlohren.


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[20[18]/0028] ich und weidete mich an Traͤumen einer golde- nen Zukunft, in der gluͤcklichſten Beſchraͤnktheit liebt’ ich Gott wie einen Vater, die Menſchen wie Bruͤder und mich ſelbſt als den Mittelpunkt der Schoͤpfung, auf den die Natur mit allen ihren Wohlthaten ziele. Itzt ſteh’ ich vielleicht auf der Stufe, von wo ich in die Schule des Elends mit ernſter Grauſamkeit verwieſen wer- de, um mich vom Kinde zum Manne zu bilden, — und werd’ ich gluͤcklicher ſeyn, als ich war, wenn ich vom harten Unterrichte zuruͤckkehre? Und hab’ ich denn ein Recht uͤber mein Un- gluͤck zu klagen? und bin ich wirklich ungluͤck- lich? — Liebt mich denn Amalie, iſt ſie mein, daß mich ihre Entfernung traurig machen darf? Bin ich nicht der Sohn eines zaͤrtlichen Vaters, der Freund eines edlen Freundes? und ich ſpre- che von Elend? — Wozu dieſer Eigenſinn, daß ich mir einbilde, nur ſie ſei meine Seeligkeit? Ja, Eduard, ich will meiner Schwaͤche wider- ſtehn, aber Sehnſucht und Wuͤnſche ſind nicht Verbrechen. Ich will nicht mit dem Schickſal rechten, aber Klagen ſind der Schwaͤche des Menſchen vergoͤnnt; wer noch nie ſeufzte, hat noch nie verlohren.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 20[18]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/28>, abgerufen am 20.04.2024.