nicht schlafen konnte, trat mir Mariens Bild recht lebhaft vor die Seele, ich erinnerte mich der frohen Stunden, die sie mir geschenkt, der goldenen Aussichten, die mir ihre Liebe eröffnet hatte; das Benehmen ihres Vaters war mir noch immer unerklärbar. Was konnte er von mir wollen? Was hatte er mir vorzuwerfen? -- Ich bereuete es, daß ich entfernt von ihr die Zeit verträumte und kaum den Gang mei- nes Schicksals kannte. London war mir mit seinem lärmenden Getümmel verhaßt, alle Freu- den dieser großen Stadt abgeschmackt; es fiel mir plötzlich der Wunsch ein, daß ich wieder in Mariens Nähe leben wollte, auf meinem einsa- men Landsitze, daß es mir itzt vielleicht gelän- ge, ihren Vater mit mir auszusöhnen. Tausend Vorstellungen und Bilder wechselten in meiner Seele, meine Phantasie war erhitzt, ich warf mich ungeduldig hin und her, ohne schlafen zu können und wünschte sehnlichst den Tag, um meine Rückreise, die ich schon fest beschlossen hatte, anzutreten.
Als ich aufstand, war ich wie berauscht, es war als wenn mich mein Genius aus London forttriebe, ich ließ mir nicht Zeit einzupacken,
nicht ſchlafen konnte, trat mir Mariens Bild recht lebhaft vor die Seele, ich erinnerte mich der frohen Stunden, die ſie mir geſchenkt, der goldenen Ausſichten, die mir ihre Liebe eroͤffnet hatte; das Benehmen ihres Vaters war mir noch immer unerklaͤrbar. Was konnte er von mir wollen? Was hatte er mir vorzuwerfen? — Ich bereuete es, daß ich entfernt von ihr die Zeit vertraͤumte und kaum den Gang mei- nes Schickſals kannte. London war mir mit ſeinem laͤrmenden Getuͤmmel verhaßt, alle Freu- den dieſer großen Stadt abgeſchmackt; es fiel mir ploͤtzlich der Wunſch ein, daß ich wieder in Mariens Naͤhe leben wollte, auf meinem einſa- men Landſitze, daß es mir itzt vielleicht gelaͤn- ge, ihren Vater mit mir auszuſoͤhnen. Tauſend Vorſtellungen und Bilder wechſelten in meiner Seele, meine Phantaſie war erhitzt, ich warf mich ungeduldig hin und her, ohne ſchlafen zu koͤnnen und wuͤnſchte ſehnlichſt den Tag, um meine Ruͤckreiſe, die ich ſchon feſt beſchloſſen hatte, anzutreten.
Als ich aufſtand, war ich wie berauſcht, es war als wenn mich mein Genius aus London forttriebe, ich ließ mir nicht Zeit einzupacken,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0263"n="255[253]"/>
nicht ſchlafen konnte, trat mir Mariens Bild<lb/>
recht lebhaft vor die Seele, ich erinnerte mich<lb/>
der frohen Stunden, die ſie mir geſchenkt, der<lb/>
goldenen Ausſichten, die mir ihre Liebe eroͤffnet<lb/>
hatte; das Benehmen ihres Vaters war mir<lb/>
noch immer unerklaͤrbar. Was konnte er von<lb/>
mir wollen? Was hatte er mir vorzuwerfen?<lb/>— Ich bereuete es, daß ich entfernt von ihr<lb/>
die Zeit vertraͤumte und kaum den Gang mei-<lb/>
nes Schickſals kannte. London war mir mit<lb/>ſeinem laͤrmenden Getuͤmmel verhaßt, alle Freu-<lb/>
den dieſer großen Stadt abgeſchmackt; es fiel<lb/>
mir ploͤtzlich der Wunſch ein, daß ich wieder in<lb/>
Mariens Naͤhe leben wollte, auf meinem einſa-<lb/>
men Landſitze, daß es mir itzt vielleicht gelaͤn-<lb/>
ge, ihren Vater mit mir auszuſoͤhnen. Tauſend<lb/>
Vorſtellungen und Bilder wechſelten in meiner<lb/>
Seele, meine Phantaſie war erhitzt, ich warf<lb/>
mich ungeduldig hin und her, ohne ſchlafen zu<lb/>
koͤnnen und wuͤnſchte ſehnlichſt den Tag, um<lb/>
meine Ruͤckreiſe, die ich ſchon feſt beſchloſſen<lb/>
hatte, anzutreten.</p><lb/><p>Als ich aufſtand, war ich wie berauſcht, es<lb/>
war als wenn mich mein Genius aus London<lb/>
forttriebe, ich ließ mir nicht Zeit einzupacken,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[255[253]/0263]
nicht ſchlafen konnte, trat mir Mariens Bild
recht lebhaft vor die Seele, ich erinnerte mich
der frohen Stunden, die ſie mir geſchenkt, der
goldenen Ausſichten, die mir ihre Liebe eroͤffnet
hatte; das Benehmen ihres Vaters war mir
noch immer unerklaͤrbar. Was konnte er von
mir wollen? Was hatte er mir vorzuwerfen?
— Ich bereuete es, daß ich entfernt von ihr
die Zeit vertraͤumte und kaum den Gang mei-
nes Schickſals kannte. London war mir mit
ſeinem laͤrmenden Getuͤmmel verhaßt, alle Freu-
den dieſer großen Stadt abgeſchmackt; es fiel
mir ploͤtzlich der Wunſch ein, daß ich wieder in
Mariens Naͤhe leben wollte, auf meinem einſa-
men Landſitze, daß es mir itzt vielleicht gelaͤn-
ge, ihren Vater mit mir auszuſoͤhnen. Tauſend
Vorſtellungen und Bilder wechſelten in meiner
Seele, meine Phantaſie war erhitzt, ich warf
mich ungeduldig hin und her, ohne ſchlafen zu
koͤnnen und wuͤnſchte ſehnlichſt den Tag, um
meine Ruͤckreiſe, die ich ſchon feſt beſchloſſen
hatte, anzutreten.
Als ich aufſtand, war ich wie berauſcht, es
war als wenn mich mein Genius aus London
forttriebe, ich ließ mir nicht Zeit einzupacken,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 255[253]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/263>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.