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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

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Zeit, wo sie durch tausend Umstände gezwungen
werden, aus ihrem poetischen Traume zu erwa-
chen, dann finden sich beide, wenigstens einer
von ihnen getäuscht; dieser Moment, wo die ro-
sichte Dämmerung der betrogenen Phantasie
nach und nach verschwindet, gehört zu den un-
glücklichsten des Lebens.

Mein Vater, so wie jeder andere Unbefan-
gene sah auf den ersten Augenblick, daß Bur-
ton mir völlig unähnlich sey; er war kalt und
verschlossen, verschlagen und listig: ich offenher-
zig, mit einer erhitzten Phantasie, mit einer
übertriebenen Empfindsamkeit kam ich ihm ent-
gegen. -- Aber ich glaubte, Burton besser zu
kennen, als ihn jeder andre kannte, ich war
überzeugt, daß die Augen der übrigen Menschen
für seine Vorzüge blind wären und so hielt ich
meine Menschenkenntniß für richtiger und über
der meines Vaters erhaben. -- So wie der
Barbar einen sinnlich dargestellten Gott braucht,
und sich irgend einen Klotz dazu behaut, so
braucht der schwärmende Jüngling ein Wesen,
dem er sich mittheilt; er drückt das erste das
ihm begegnet an seine Brust, unbekümmert, ob
ihn jener willkommen heiße, oder nicht.


Zeit, wo ſie durch tauſend Umſtaͤnde gezwungen
werden, aus ihrem poetiſchen Traume zu erwa-
chen, dann finden ſich beide, wenigſtens einer
von ihnen getaͤuſcht; dieſer Moment, wo die ro-
ſichte Daͤmmerung der betrogenen Phantaſie
nach und nach verſchwindet, gehoͤrt zu den un-
gluͤcklichſten des Lebens.

Mein Vater, ſo wie jeder andere Unbefan-
gene ſah auf den erſten Augenblick, daß Bur-
ton mir voͤllig unaͤhnlich ſey; er war kalt und
verſchloſſen, verſchlagen und liſtig: ich offenher-
zig, mit einer erhitzten Phantaſie, mit einer
uͤbertriebenen Empfindſamkeit kam ich ihm ent-
gegen. — Aber ich glaubte, Burton beſſer zu
kennen, als ihn jeder andre kannte, ich war
uͤberzeugt, daß die Augen der uͤbrigen Menſchen
fuͤr ſeine Vorzuͤge blind waͤren und ſo hielt ich
meine Menſchenkenntniß fuͤr richtiger und uͤber
der meines Vaters erhaben. — So wie der
Barbar einen ſinnlich dargeſtellten Gott braucht,
und ſich irgend einen Klotz dazu behaut, ſo
braucht der ſchwaͤrmende Juͤngling ein Weſen,
dem er ſich mittheilt; er druͤckt das erſte das
ihm begegnet an ſeine Bruſt, unbekuͤmmert, ob
ihn jener willkommen heiße, oder nicht.


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[248[246]/0256] Zeit, wo ſie durch tauſend Umſtaͤnde gezwungen werden, aus ihrem poetiſchen Traume zu erwa- chen, dann finden ſich beide, wenigſtens einer von ihnen getaͤuſcht; dieſer Moment, wo die ro- ſichte Daͤmmerung der betrogenen Phantaſie nach und nach verſchwindet, gehoͤrt zu den un- gluͤcklichſten des Lebens. Mein Vater, ſo wie jeder andere Unbefan- gene ſah auf den erſten Augenblick, daß Bur- ton mir voͤllig unaͤhnlich ſey; er war kalt und verſchloſſen, verſchlagen und liſtig: ich offenher- zig, mit einer erhitzten Phantaſie, mit einer uͤbertriebenen Empfindſamkeit kam ich ihm ent- gegen. — Aber ich glaubte, Burton beſſer zu kennen, als ihn jeder andre kannte, ich war uͤberzeugt, daß die Augen der uͤbrigen Menſchen fuͤr ſeine Vorzuͤge blind waͤren und ſo hielt ich meine Menſchenkenntniß fuͤr richtiger und uͤber der meines Vaters erhaben. — So wie der Barbar einen ſinnlich dargeſtellten Gott braucht, und ſich irgend einen Klotz dazu behaut, ſo braucht der ſchwaͤrmende Juͤngling ein Weſen, dem er ſich mittheilt; er druͤckt das erſte das ihm begegnet an ſeine Bruſt, unbekuͤmmert, ob ihn jener willkommen heiße, oder nicht.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 248[246]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/256>, abgerufen am 22.11.2024.