Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Nicht wahr, Du siehst mir das langweilige
Leben hier auf dem Lande schon an? -- So ab-
getrieben war mein Witz nicht, als ich in Euren
lustigen Gesellschaften in London war, wo Wein,
Gesang, Tanz und Küsse von den reizendsten
Lippen uns begeisterten, wo unsre Laune mit
sechs muntern Pferden über die ebne Chaussee
des Leichtsinns und der Vergessenheit aller Wich-
tigkeiten und Armseeligkeiten dieses Lebens da-
hinrollte, -- nun, wir werden uns wiedersehn! --
Hier komm' ich mir vor wie eine Schnecke, die
nur immer furchtsam mit halbem Leibe ihre Be-
hausung verläßt und langsam und schwerfällig
von einem Grashalme zum andern kriecht; --
zwar ist die Gegend sehr schön, der Garten an-
genehm, auch veranstaltet uns der Himmel man-
chen prächtigen Sonnenuntergang, -- aber was
ist eine Gegend, sei sie noch so schön, ohne
Freunde, die unsre Freuden mit genießen? nichts
als ein Rahm ohne Gemählde: wir sehn nur die
Veranlassung, die uns vergnügen könnte. So
leb' ich hier einen Tag fort, wie den andern,
zuweilen bekommen wir Besuche und erwiedern sie,
-- und so leben wir im Ganzen nicht unange-
nehm. Wenn nur das ewige Einerlei nicht wäre!


Nicht wahr, Du ſiehſt mir das langweilige
Leben hier auf dem Lande ſchon an? — So ab-
getrieben war mein Witz nicht, als ich in Euren
luſtigen Geſellſchaften in London war, wo Wein,
Geſang, Tanz und Kuͤſſe von den reizendſten
Lippen uns begeiſterten, wo unſre Laune mit
ſechs muntern Pferden uͤber die ebne Chauſſee
des Leichtſinns und der Vergeſſenheit aller Wich-
tigkeiten und Armſeeligkeiten dieſes Lebens da-
hinrollte, — nun, wir werden uns wiederſehn! —
Hier komm’ ich mir vor wie eine Schnecke, die
nur immer furchtſam mit halbem Leibe ihre Be-
hauſung verlaͤßt und langſam und ſchwerfaͤllig
von einem Grashalme zum andern kriecht; —
zwar iſt die Gegend ſehr ſchoͤn, der Garten an-
genehm, auch veranſtaltet uns der Himmel man-
chen praͤchtigen Sonnenuntergang, — aber was
iſt eine Gegend, ſei ſie noch ſo ſchoͤn, ohne
Freunde, die unſre Freuden mit genießen? nichts
als ein Rahm ohne Gemaͤhlde: wir ſehn nur die
Veranlaſſung, die uns vergnuͤgen koͤnnte. So
leb’ ich hier einen Tag fort, wie den andern,
zuweilen bekommen wir Beſuche und erwiedern ſie,
— und ſo leben wir im Ganzen nicht unange-
nehm. Wenn nur das ewige Einerlei nicht waͤre!


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0017" n="7"/>
          <p>Nicht wahr, Du &#x017F;ieh&#x017F;t mir das langweilige<lb/>
Leben hier auf dem Lande &#x017F;chon an? &#x2014; So ab-<lb/>
getrieben war mein Witz nicht, als ich in Euren<lb/>
lu&#x017F;tigen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften in London war, wo Wein,<lb/><choice><sic>Gefang</sic><corr>Ge&#x017F;ang</corr></choice>, Tanz und Ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;e von den reizend&#x017F;ten<lb/>
Lippen uns begei&#x017F;terten, wo un&#x017F;re Laune mit<lb/>
&#x017F;echs muntern Pferden u&#x0364;ber die ebne Chau&#x017F;&#x017F;ee<lb/>
des Leicht&#x017F;inns und der Verge&#x017F;&#x017F;enheit aller Wich-<lb/>
tigkeiten und Arm&#x017F;eeligkeiten die&#x017F;es Lebens da-<lb/>
hinrollte, &#x2014; nun, wir werden uns wieder&#x017F;ehn! &#x2014;<lb/>
Hier komm&#x2019; ich mir vor wie eine Schnecke, die<lb/>
nur immer furcht&#x017F;am mit halbem Leibe ihre Be-<lb/>
hau&#x017F;ung verla&#x0364;ßt und lang&#x017F;am und &#x017F;chwerfa&#x0364;llig<lb/>
von einem Grashalme zum andern kriecht; &#x2014;<lb/>
zwar i&#x017F;t die Gegend &#x017F;ehr &#x017F;cho&#x0364;n, der Garten an-<lb/>
genehm, auch veran&#x017F;taltet uns der Himmel man-<lb/>
chen pra&#x0364;chtigen Sonnenuntergang, &#x2014; aber was<lb/>
i&#x017F;t eine Gegend, &#x017F;ei &#x017F;ie noch &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;n, ohne<lb/>
Freunde, die un&#x017F;re Freuden mit genießen? nichts<lb/>
als ein Rahm ohne Gema&#x0364;hlde: wir &#x017F;ehn nur die<lb/>
Veranla&#x017F;&#x017F;ung, die uns vergnu&#x0364;gen ko&#x0364;nnte. So<lb/>
leb&#x2019; ich hier einen Tag fort, wie den andern,<lb/>
zuweilen bekommen wir <choice><sic>Be&#x017F;nche</sic><corr>Be&#x017F;uche</corr></choice> und erwiedern &#x017F;ie,<lb/>
&#x2014; und &#x017F;o leben wir im Ganzen nicht unange-<lb/>
nehm. Wenn nur das ewige Einerlei nicht wa&#x0364;re!</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0017] Nicht wahr, Du ſiehſt mir das langweilige Leben hier auf dem Lande ſchon an? — So ab- getrieben war mein Witz nicht, als ich in Euren luſtigen Geſellſchaften in London war, wo Wein, Geſang, Tanz und Kuͤſſe von den reizendſten Lippen uns begeiſterten, wo unſre Laune mit ſechs muntern Pferden uͤber die ebne Chauſſee des Leichtſinns und der Vergeſſenheit aller Wich- tigkeiten und Armſeeligkeiten dieſes Lebens da- hinrollte, — nun, wir werden uns wiederſehn! — Hier komm’ ich mir vor wie eine Schnecke, die nur immer furchtſam mit halbem Leibe ihre Be- hauſung verlaͤßt und langſam und ſchwerfaͤllig von einem Grashalme zum andern kriecht; — zwar iſt die Gegend ſehr ſchoͤn, der Garten an- genehm, auch veranſtaltet uns der Himmel man- chen praͤchtigen Sonnenuntergang, — aber was iſt eine Gegend, ſei ſie noch ſo ſchoͤn, ohne Freunde, die unſre Freuden mit genießen? nichts als ein Rahm ohne Gemaͤhlde: wir ſehn nur die Veranlaſſung, die uns vergnuͤgen koͤnnte. So leb’ ich hier einen Tag fort, wie den andern, zuweilen bekommen wir Beſuche und erwiedern ſie, — und ſo leben wir im Ganzen nicht unange- nehm. Wenn nur das ewige Einerlei nicht waͤre!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/17
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/17>, abgerufen am 20.04.2024.