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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

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für ein Ideal Richardson's, für ein himmlisches
und überirrdisches Geschöpf. Wir empfinden so
sehr in's Feine hinein, daß mir schon oft ein
Gähnen angewandelt ist, das ich nur mit Mühe
verbissen habe; durch hundert Vorfälle ist es
nun endlich dahingekommen, daß er wirklich
verliebt ist; er will sich zwar dies Gefühl selbst
nicht gestehn, aber ich mache mich jeden Tag
auf eine sehr pathetische Erklärung gefaßt; er
ist schon oft auf dem Wege gewesen, aber je-
desmahl muß ihn noch das Bild seiner Gelieb-
ten zurückgehalten haben. --

Gestern ging er melancholisch im Garten auf
und nieder, ich begegnete ihm, wie von ohnge-
fähr. Er freute sich und erschrack zu gleicher
Zeit, meine Gegenwart war ihm lieb, aber es
war ihm unangenehm, selbst durch mich in sei-
nen Träumen gestört zu werden; er gerieth in
eine Art von Verlegenheit. Es war ein schöner
Abend, wir waren von ohngefähr allein, ich hör-
te wenig von dem was er sagte, seine Bildung,
sein schöner Wuchs, sein feuriges Auge zerstreu-
ten meine Aufmerksamkeit: er ist einer der
schönsten Männer, die ich bis itzt gesehen habe.
Wir kamen zu einer Laube und setzten uns.

fuͤr ein Ideal Richardſon’s, fuͤr ein himmliſches
und uͤberirrdiſches Geſchoͤpf. Wir empfinden ſo
ſehr in’s Feine hinein, daß mir ſchon oft ein
Gaͤhnen angewandelt iſt, das ich nur mit Muͤhe
verbiſſen habe; durch hundert Vorfaͤlle iſt es
nun endlich dahingekommen, daß er wirklich
verliebt iſt; er will ſich zwar dies Gefuͤhl ſelbſt
nicht geſtehn, aber ich mache mich jeden Tag
auf eine ſehr pathetiſche Erklaͤrung gefaßt; er
iſt ſchon oft auf dem Wege geweſen, aber je-
desmahl muß ihn noch das Bild ſeiner Gelieb-
ten zuruͤckgehalten haben. —

Geſtern ging er melancholiſch im Garten auf
und nieder, ich begegnete ihm, wie von ohnge-
faͤhr. Er freute ſich und erſchrack zu gleicher
Zeit, meine Gegenwart war ihm lieb, aber es
war ihm unangenehm, ſelbſt durch mich in ſei-
nen Traͤumen geſtoͤrt zu werden; er gerieth in
eine Art von Verlegenheit. Es war ein ſchoͤner
Abend, wir waren von ohngefaͤhr allein, ich hoͤr-
te wenig von dem was er ſagte, ſeine Bildung,
ſein ſchoͤner Wuchs, ſein feuriges Auge zerſtreu-
ten meine Aufmerkſamkeit: er iſt einer der
ſchoͤnſten Maͤnner, die ich bis itzt geſehen habe.
Wir kamen zu einer Laube und ſetzten uns.

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[141[139]/0149] fuͤr ein Ideal Richardſon’s, fuͤr ein himmliſches und uͤberirrdiſches Geſchoͤpf. Wir empfinden ſo ſehr in’s Feine hinein, daß mir ſchon oft ein Gaͤhnen angewandelt iſt, das ich nur mit Muͤhe verbiſſen habe; durch hundert Vorfaͤlle iſt es nun endlich dahingekommen, daß er wirklich verliebt iſt; er will ſich zwar dies Gefuͤhl ſelbſt nicht geſtehn, aber ich mache mich jeden Tag auf eine ſehr pathetiſche Erklaͤrung gefaßt; er iſt ſchon oft auf dem Wege geweſen, aber je- desmahl muß ihn noch das Bild ſeiner Gelieb- ten zuruͤckgehalten haben. — Geſtern ging er melancholiſch im Garten auf und nieder, ich begegnete ihm, wie von ohnge- faͤhr. Er freute ſich und erſchrack zu gleicher Zeit, meine Gegenwart war ihm lieb, aber es war ihm unangenehm, ſelbſt durch mich in ſei- nen Traͤumen geſtoͤrt zu werden; er gerieth in eine Art von Verlegenheit. Es war ein ſchoͤner Abend, wir waren von ohngefaͤhr allein, ich hoͤr- te wenig von dem was er ſagte, ſeine Bildung, ſein ſchoͤner Wuchs, ſein feuriges Auge zerſtreu- ten meine Aufmerkſamkeit: er iſt einer der ſchoͤnſten Maͤnner, die ich bis itzt geſehen habe. Wir kamen zu einer Laube und ſetzten uns.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 141[139]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/149>, abgerufen am 24.11.2024.