Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.und auf diese Weise werde ich Sie zwingen, mir Ihre Tochter zu geben. Er stürzte fort, und der Vater sah ihm mit zweifelndem Blicke nach und murmelte: nun ist er gar verrückt geworden. Im Freien, als dem jungen Manne ein heftiges Schneegestöber entgegenschlug, verkühlte sich seine sonderbare Hitze; er mußte über seine Heftigkeit und jene unsinnigen Reden erst lächeln, dann laut lachen, und als er sich in seiner Wohnung befand, kam er beim Umkleiden völlig zur Besinnung. Dieser Tag war für ihn von der höchsten Wichtigkeit, denn die Stunde war jetzt da, in welcher er sich dem Prinzen, der unterdessen, wie man ihm gesagt hatte, angelangt war, vorstellen sollte. Die Kleider, welche er jetzt anlegte, hatte er lange nicht getragen, mit solcher Aufmerksamkeit hatte er sich noch nie im Spiegel betrachtet. Er musterte seine Gestalt und konnte sich nicht verhehlen, daß er gut gewachsen, daß sein Auge feurig, sein Gesicht anmuthig und die Stirne edel sei. Mein erster Anblick, sagte er zu sich selbst, wird ihm wenigstens nicht mißfallen. Alle Menschen, selbst diejenigen, die mich nicht leiden können, loben mein gewandtes und feines Betragen; ich habe manche Talente und Kenntnisse, und was mir mangelt, kann ich bei meiner Jugend, bei und auf diese Weise werde ich Sie zwingen, mir Ihre Tochter zu geben. Er stürzte fort, und der Vater sah ihm mit zweifelndem Blicke nach und murmelte: nun ist er gar verrückt geworden. Im Freien, als dem jungen Manne ein heftiges Schneegestöber entgegenschlug, verkühlte sich seine sonderbare Hitze; er mußte über seine Heftigkeit und jene unsinnigen Reden erst lächeln, dann laut lachen, und als er sich in seiner Wohnung befand, kam er beim Umkleiden völlig zur Besinnung. Dieser Tag war für ihn von der höchsten Wichtigkeit, denn die Stunde war jetzt da, in welcher er sich dem Prinzen, der unterdessen, wie man ihm gesagt hatte, angelangt war, vorstellen sollte. Die Kleider, welche er jetzt anlegte, hatte er lange nicht getragen, mit solcher Aufmerksamkeit hatte er sich noch nie im Spiegel betrachtet. Er musterte seine Gestalt und konnte sich nicht verhehlen, daß er gut gewachsen, daß sein Auge feurig, sein Gesicht anmuthig und die Stirne edel sei. Mein erster Anblick, sagte er zu sich selbst, wird ihm wenigstens nicht mißfallen. Alle Menschen, selbst diejenigen, die mich nicht leiden können, loben mein gewandtes und feines Betragen; ich habe manche Talente und Kenntnisse, und was mir mangelt, kann ich bei meiner Jugend, bei <TEI> <text> <body> <div n="5"> <p><pb facs="#f0082"/> und auf diese Weise werde ich Sie zwingen, mir Ihre Tochter zu geben.</p><lb/> <p>Er stürzte fort, und der Vater sah ihm mit zweifelndem Blicke nach und murmelte: nun ist er gar verrückt geworden.</p><lb/> </div> <div n="6"> <p>Im Freien, als dem jungen Manne ein heftiges Schneegestöber entgegenschlug, verkühlte sich seine sonderbare Hitze; er mußte über seine Heftigkeit und jene unsinnigen Reden erst lächeln, dann laut lachen, und als er sich in seiner Wohnung befand, kam er beim Umkleiden völlig zur Besinnung. Dieser Tag war für ihn von der höchsten Wichtigkeit, denn die Stunde war jetzt da, in welcher er sich dem Prinzen, der unterdessen, wie man ihm gesagt hatte, angelangt war, vorstellen sollte. Die Kleider, welche er jetzt anlegte, hatte er lange nicht getragen, mit solcher Aufmerksamkeit hatte er sich noch nie im Spiegel betrachtet. Er musterte seine Gestalt und konnte sich nicht verhehlen, daß er gut gewachsen, daß sein Auge feurig, sein Gesicht anmuthig und die Stirne edel sei. Mein erster Anblick, sagte er zu sich selbst, wird ihm wenigstens nicht mißfallen. Alle Menschen, selbst diejenigen, die mich nicht leiden können, loben mein gewandtes und feines Betragen; ich habe manche Talente und Kenntnisse, und was mir mangelt, kann ich bei meiner Jugend, bei<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0082]
und auf diese Weise werde ich Sie zwingen, mir Ihre Tochter zu geben.
Er stürzte fort, und der Vater sah ihm mit zweifelndem Blicke nach und murmelte: nun ist er gar verrückt geworden.
Im Freien, als dem jungen Manne ein heftiges Schneegestöber entgegenschlug, verkühlte sich seine sonderbare Hitze; er mußte über seine Heftigkeit und jene unsinnigen Reden erst lächeln, dann laut lachen, und als er sich in seiner Wohnung befand, kam er beim Umkleiden völlig zur Besinnung. Dieser Tag war für ihn von der höchsten Wichtigkeit, denn die Stunde war jetzt da, in welcher er sich dem Prinzen, der unterdessen, wie man ihm gesagt hatte, angelangt war, vorstellen sollte. Die Kleider, welche er jetzt anlegte, hatte er lange nicht getragen, mit solcher Aufmerksamkeit hatte er sich noch nie im Spiegel betrachtet. Er musterte seine Gestalt und konnte sich nicht verhehlen, daß er gut gewachsen, daß sein Auge feurig, sein Gesicht anmuthig und die Stirne edel sei. Mein erster Anblick, sagte er zu sich selbst, wird ihm wenigstens nicht mißfallen. Alle Menschen, selbst diejenigen, die mich nicht leiden können, loben mein gewandtes und feines Betragen; ich habe manche Talente und Kenntnisse, und was mir mangelt, kann ich bei meiner Jugend, bei
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Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
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